Steile Berge, tiefe Seen, große Elche, weites Meer

 

Vorspiel

Dieser Abschnitt ist all jenen gewidmet, die noch nicht über die aktuellen Ereignisse informiert sind.

Im Herbst 2002 fand Andreas eine Ausschreibung für eine Professorenstelle in Grimstad/Norwegen. Da die Stelle gut aussah und Grimstad am Meer liegt, bestand er darauf, sich dort zu bewerben. Schon wenige Tage später war Andreas in Grimstad zum informellen Vorstellungsgespräch. Das stellte sich zwar als unüblich und verfrüht heraus (Formfehler von norwegischer Seite), aber trotzdem sah alles so aus, als ob die Bewerbung erfolgreich sein würde. Am 12.März (Andreas Geburtstag) kam ein Anruf aus Norwegen: die Bewerbungskommission hatte sich für Andreas entschieden.

Unser Familienrat tagte, und obwohl außer Andreas noch nie jemand von uns in Norwegen gewesen war, entschlossen wir fünf uns einstimmig, das Abenteuer zu wagen. Von da an war bei uns großes Gewusel angesagt. Lisanne fing gleich an, Norwegisch zu lernen und die Kinder waren begeistert. Andreas musste schon einige Dinge für Norwegen klären.

Wir schrieben eine große Liste, was alles erledigt werden muss und fingen gleich damit an: überall abmelden, sehr viele technische Fragen klären, Anmeldung in Norwegen klären etc. Die Liste wuchs mit jedem abgearbeiteten Punkt oft gleich um mehrere neue Aufgaben an, und wir wussten wirklich nicht, ob wir das jemals bis zum Umzug schaffen können.

Letztendlich haben wir alles, aber auch wirklich alles erledigt, und nicht zuletzt noch eine ganze Reihe trauriger und trotzdem wunderschöner Abschiedsfeste gehabt. Da muss wirklich jemand seine schützende Hand drüber gehabt haben. Wir sind sehr dankbar dafür. Unser Dank gilt vor allem auch all den vielen lieben Menschen, die uns in dieser Zeit mit Rat, Tat und Trost zur Seite gestanden haben.

Hauskauf in Norwegen

Unser größtes Problem war die neue Wohnung. Zunächst einmal versuchten wir, eine Wohnung in Grimstad zu mieten. Dazu surften wir im Internet bei allen drei Immobilienmaklern aus der Gegend. Aber in ganz Südnorwegen gab es keine Mietwohnung, die für fünf Leute groß genug gewesen wäre. Das liegt ganz einfach daran, dass man in Norwegen normalerweise in einem Haus wohnt. Also mussten wir unsere Suchrichtung verändern: mieten wir halt ein Haus.

Es stellte sich aber schnell heraus, dass die Norweger nur in den seltensten Fällen ihre Häuser vermieten. Entweder sie wohnen selbst darin, oder sie verkaufen das Haus. Also blieb uns nichts anderes übrig: wir mussten ein Haus kaufen. Das war eine ziemliche Herausforderung, denn wir hatten noch nie ein Haus gekauft, und schon gar nicht in Norwegen. Auch stand es mit unserem Eigenkapital nicht gerade zum Besten. Trotzdem suchten wir weiter im Internet nach geeigneten Häusern und erstellten eine Liste davon.

Dann fuhr Lisanne für eine Woche - auf Einladung der Hochschule Grimstad - zu einer Konferenz nach Kristiansand, und natürlich um die ersten Erkundungen zu machen und (vielleicht) ein Haus auszusuchen. Es stellte sich heraus, dass die Beschreibungen im Internet nur bedingt informativ sind und man auf jeden Fall noch mal selber nachschauen muss. So konnte Lisanne bei diesem ersten Besuch auch alle schon vorher ausgesuchten Häuser ablehnen und wir standen wieder mit leeren Händen da. Immerhin fand Lisanne die Gegend ganz schön und ihre Eltern waren einfach begeistert.

Um nun das Haus wirklich zu kaufen, hatten wir im September eine Woche Zeit in Grimstad. Andreas war eingeladen, um die neue Arbeit vorzubereiten: die neuen Kollegen treffen, Forschungspläne besprechen, das Büro einrichten und ähnliches mehr. Lisanne durfte mitkommen, denn wir wollten ja auch alle sonstigen Formalitäten klären (Schulanmeldung, Aufenthaltserlaubnis...) und eben ein Haus kaufen.

Wir kamen am Samstagabend an. Leider war keiner der Makler auf unseren Wunsch eingegangen, schon am Sonntag eine Besichtigung vorzunehmen; wir hatten nur einige Termine für Montag. Wir gingen also Sonntag alleine zu den Häusern auf unsere Liste, um sie schon mal von außen in Augenschein zu nehmen. Das erste Haus lag direkt neben der Autobahn E18 – der einzigen Schnellstraße, die es hier in der ganzen Gegend gibt. Das zweite war sehr hübsch und hatte sogar einen netten Garten, aber leider stammte die gesamte Haustechnik noch aus den 60er-Jahren, mit einzelnen Öfen in einzelnen (aber nicht allen) Zimmern. Nachdem wir noch ein weiteres Haus ohne offensichtliche Begeisterung besichtigt hatten und reichlich pflastermüde waren, machten wir uns auf den Weg zurück zum Hotel. Dabei kamen wir an einem Haus vorbei, von dem Lisanne wusste, dass es verkauft werden sollte. Kurzerhand klingelten wir und wurden freundlich aufgenommen, herumgeführt, in den Wintergarten gebeten und zum Tee eingeladen. Wir fühlten uns wie zu Hause!

Danach war uns klar, dass wir dieses Haus haben wollen. Lisanne besichtigte Montag noch einige Häuser, nur so, zur Bestätigung. Jetzt mussten wir das Haus nur noch kaufen. Wir gingen also zum Makler, und der schickte uns zur Kreditabteilung. Dort konnte man uns leider nicht weiterhelfen, denn einen Kredit bekommt man nur, wenn man eine norwegische Einwohnernummer hat. Diese Nummer erhält man beim Steueramt, wenn man eine Aufenthaltserlaubnis vorlegt. Die Aufenthaltserlaubnis kriegt man bei der Polizei, wenn man Arbeit und Wohnung in Norwegen nachweisen kann. Die Wohnung kann man nachweisen, wenn man das Haus gekauft hat… Damit schließt sich der Teufelskreis. Diesen Kreis löst man üblicherweise so, dass man zuerst in eine Ferienwohnung einzieht und dann ein Haus aussucht und kauft und noch mal umzieht. Das wollten wir uns aber nicht zumuten.

Zum Glück hatte Andreas eine gute Idee: Das Haus, das wir kaufen wollten, hat drei Ferienwohnungen, von denen nur zwei vermietet waren. Da könnten wir doch die dritte nehmen? Wir gingen also Montagabend wieder zu Helge und Karin, dem Ehepaar, dem das Haus gehörte. Wir bekamen Tee, warmen Kuchen und einen Mietvertrag. Dienstag früh beantragten wir die Aufenthaltserlaubnis auf der Polizei, Mittwoch früh konnten wir sie abholen. Eigentlich dauert so etwas ja eine Woche, aber für uns ging es dank einer freundlichen Beamtin schneller.

Nur die Ausstellung der Einwohnernummer dauert mindestens eine ganze Woche. Da ist auch keine Verkürzung möglich, denn die Papiere gehen nach Oslo. Also war der Teufelskreis nicht ganz gelöst, jetzt war das Problem die Zeit.

Aber auch dafür gibt es eine Lösung: Man braucht das Haus gar nicht zu kaufen (also braucht man auch gar keine Einwohnernummer), sondern man muss nur ein Kaufangebot(!) abgeben, und dazu ist keine Einwohnernummer nötig. Allerdings braucht man eine Unterschrift von der Bank, dass sie, falls es zum Kauf kommt, einen Kredit geben. Das wiederum ist ziemlich einfach, wenn man einen guten Verdienst nachweisen kann (das konnten wir) und eine Einwohnernummer hat (uff!). Das Problem dabei ist, dass man den Stempel nur bekommt, wenn das Bankenkreditberechnungsprogramm ausrechnet, dass man sich den Kredit leisten kann, und um dieses Programm zum Laufen zu bringen, braucht man die Einwohnernummer. Sonst geht gar nichts. Wir brauchten noch mal einen ganzen Tag und ziemlich viele Nerven, bis wir eine Bank fanden, in der man per Taschenrechner unsere Daten durchrechnen durfte und uns dann den Stempel auf dem Angebot geben konnte.

Danach war es ganz einfach: Der Verkäufer war einverstanden, und der Makler schrieb „Solgt“ („Verkauft“) auf das Prospekt. Damit gehörte das Haus uns – bis auf die administrativen Kleinigkeiten wie den wirklichen Kreditvertrag, die Beschaffung von Eigenkapital, den Kaufvertrag etc., die wir dann von Berlin aus mit Post, E-Mail und Telefon klärten.

Gewußt wo

Für alle, deren Atlas Grimstad nicht ausweist: Am südlichsten Zipfel von Norwegen liegt Kristiansand, die fünftgrößte Stadt Norwegens mit 75000 Einwohnern. Fährt man von dort aus nach Osten in Richtung Oslo, so kommt man nach etwa 50 Kilometern in Grimstad (18000 Einwohner) an.

Unser Haus liegt ein bisschen neben dem Stadtzentrum auf einem Feld, auf dem sich mehrere kleine Hausansammlungen befinden, die alle vom Vestre Grøm, der Zufahrtstraße, abgehen. Unser Haus zeigt mit der Wohnseite nach Südosten (die Ferienwohnung nach Südwesten) und im Südosten befindet sich ein Feld. Dahinter kommt ein Wald. Da die Hauptstraße (E18) in nördlicher Richtung liegt, hört man bei uns fast überhaupt nichts davon.

Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus

Schließlich kam, was kommen musste: der Möbelwagen. Da der neue Arbeitgeber den Umzug bezahlte und wir schon einige Horrorumzugsstories zu hören bekommen hatten, war die Umzugsfirma mit besonderer Vorsicht ausgesucht: Firma Brandes, bekannt für Bundeswehr- und Bundesregierungsumzüge. Drei junge Männer betraten Freitag früh unsere Wohnung, und begannen, die Schränke auszuräumen, die Möbel zu zerlegen und alles im Laster zu verstauen. Kisten über Kisten verließen die Wohnung, während wir Brötchen schmierten, Suppe kochten, Anrufer beruhigten und die letzten übrig gebliebenen Arbeiten erledigten.

Freitagabend blieben wir in einer halbleeren und sehr chaotischen Wohnung zurück, aus der wir glücklicherweise mehrfach flüchten konnten – da gab es hier noch eine Einladung zum Essen und dort zum Geburtstag, die Oma musste vom Flughafen zum Zug begleitet und der Patenonkel verabschiedet werden.

Montag, den 20.10. wurde es dann ernst. Alles musste raus – Lampen, Gardinen, Nägel, Haken, Geschirrspüler, Stühle, Teller. Als der Hausmeister das erste Mal um 11 Uhr vorbeischaute, sah es so aus, als ob wir nie fertig werden würden. Aber schon um 16 Uhr standen wir zu fünft mit etwas Handgepäck im Hausflur, vor unserer ehemaligen Wohnung: ohne Schlüssel, ohne Möbel, ohne Auto.

Nach einer schönen Abschiedsparty bei Kathrin stiegen wir am Dienstag ins Flugzeug, während unsere Habe in Dänemark unterwegs war. Und während wir uns auf dem Kopenhagener Flughafen langweilten, fuhren LKW und Auto auf die große Fähre, um den Skagerrak zu überqueren.

Norwegen empfing uns frostig. Nasse Schneeflocken umwirbelten das Flugzeug bei der Landung in Kristiansand, der Bus schlitterte nach Grimstad, wo uns Helge vom Busbahnhof abholte. Aber das Haus war bitterkalt! Zitternd gingen wir durch die kahlen Räume, wir hatten das Haus bis jetzt ja nur bewohnt gesehen. Oben in unserer Ferienwohnung war es zum Glück etwas wärmer, aber nicht wirklich gemütlich. Und weil der Möbelwagen noch nicht da war, nahmen wir dankbar Helges Angebot an, mit ihm in sein neues Haus zu kommen, wo Karin mit warmer Suppe, Tee und frischen Bollern (Brötchen) auf uns wartete.

Leider kam der Möbelwagen bald, aber nur kurz. Die Möbelpacker stellten fest, dass es zu kalt, zu dunkel und zu eng war, um noch etwas auszuladen und suchten sich irgendwo einen geeigneten Parkplatz. Und wir mussten in unsere laukalte Ferienwohnung, in der es immerhin unsere Schlafsäcke und zwei bezogene Betten gab.

Am nächsten Morgen begann das große Chaos. Während Andreas die Möbelleute dirigierte und die Kinder draußen Schneemänner bauten, fuhr Lisanne mit dem Auto in die Stadt, um sich beim Arbeitsamt anzumelden und Essen zu kaufen.[1]

Leider passte der Möbelwagen nicht richtig in unsere Einfahrt. Deshalb musste der Anhänger auf dem Parkplatz bleiben und zuerst wurde der Laster ausgeladen. Dann wurde alles vom Hänger ins Auto umgepackt - und dann wieder beim Haus ausgeladen. Diese Verfahrensweise führte dazu, dass alle Sachen, die wir zuletzt eingepackt hatten: das Essen, die Betten, die Küchensachen – eben alle wichtige Dinge – auch wieder zuletzt ausgepackt wurden. Also musste erst mal alles irgendwie ins Haus befördert werden, und dann sollte man in dem Wirrwarr herausfinden, was wohin gehört. Nun hatten aber die Packer die etwa 200 Kisten gefüllt und beschriftet – mit so wegweisenden Aufschriften wie „Küche“, „Wohnzimmer“ und „Felix Zimmer“. Das war nicht sehr hilfreich, denn wir hatten am letzten Wochenende in Felix Zimmer alles gesammelt, was schon eingepackt werden konnte. All das lag nun in einem Riesenstapel „Felix Zimmer“ Kisten. Zwischendurch kamen die Möbelleute immer mal und fragten, was sie wie ausräumen sollen. Nur, wie soll man das verstehen, wenn Andreas sagt, dass das Bücherregal fünf Fächer haben muss, sie vier reinbauen und dann erklären, dass die Bücher nicht passen? Oder in Floras Schrank nicht nur alles reinlegen, was Floras ist, sondern auch alles was vorher in ihrem Zimmer stand (das waren der Elternschreibtisch, das Bücherregal und der Bastelschrank; diese Sachen sollten eigentlich wieder in genau denselben Schränken landen, in denen sie vorher waren, nur eben nicht in Floras neuem Zimmer).

Gerechterweise muss man sagen, dass immer nur einer von uns Zeit hatte, beim Auspacken zu helfen, der andere war mit den Kindern, dem Essen oder administrativen Sachen beschäftigt. Am Donnerstag musste ja auch noch das Auto in Arendal angemeldet werden, was einen ganzen Vormittag dauerte und 75 000 Kronen (9400 Euro) kostete. Wir hatten aber nur 65 000, und das war wirklich alles, was wir bis zum ersten Gehalt besaßen. Zum Glück hatte Lisanne darum gebeten, dass Katharina, Andreas Kollegin, mitfährt und dolmetscht, und die bezahlte auch erst mal den fehlenden Rest. Sonst hätte das Auto beim Zoll stehen bleiben müssen. Das Geld für neues Essen kam auch gerade noch rechtzeitig: unsere Untermieterstudenten müssen nämlich am 27. im Voraus für den nächsten Monat bezahlen. Und da sie noch keine Kontonummer von uns hatten, bekamen wir das Geld bar in die Hand.

Den ganzen Donnerstagnachmittag wurde noch eifrig geschraubt, geklopft, und ausgewickelt, hier noch ein Bild an die Wand gehängt und dort noch ein Haken angebaut, und dann musste der Möbelwagen eilig zur Fähre. Endlich konnten wir auch alle Türen schließen und anfangen, richtig zu heizen.

Insgesamt waren wir ganz zufrieden mit dem Umzug, aber beim nächsten Mal werden wir wohl selber aus- und einpacken, zumindest so empfindliche Sachen wie Zimmer­pflanzen.[2] Außerdem sparen wir uns so die Überraschungen beim Auspacken, wenn einem plötzlich der als Kerzenständer dienende Sand aus dem Packpapier entgegen­rieselt, geknickte Kalender auftauchen und die früher als Wandschmuck dienenden Kinderbilder jetzt eine feste klebestreifendurchsetzte Masse bilden.

Ein Häuschen mit Garten

Da waren die Möbelpacker also fort und wir mit uns und dem neuen Besitz allein. Warm war es inzwischen, und auch an die seltsamen Gerüche hatten wir uns mehr oder weniger gewöhnt. Zeit, normales Leben zu beginnen und das Haus zu unserem zu machen.

Als erstes experimentierten wir mit der Heizung. Es ist zwar schön, eine Fußboden­heizung zu haben, aber sie schluckt Unmengen Strom. Es dauerte immerhin drei Tage, bis das Schlafzimmer endlich warm war, und dann war es nachts wieder zu warm zum Schlafen. Leider sind weder unser Bett noch unser Sofa fußbodenheizungsgeeignet, sie haben Bettkästen direkt auf dem Boden. Es dauert also ewig, bis sie durchgewärmt sind, und was man aus dem Bettkasten nimmt, ist kuschelig warm.

Die Heizungen haben mehrere Schalter: Ein- und Ausschalter, Dreistufenschalter und Thermostatschalter. Nicht immer ist klar, wie das Zusammenspiel zwischen diesen funktioniert. Außerdem ist es natürlich schlecht, wenn mehrere Leute daran herumstellen. Da die Heizung so langsam reagiert, haben wir oft den Thermostat dreimal „ein wenig“ heruntergeregelt und wunderten uns dann, warum es so viel kälter war.

Helge kam auch immer wieder und sagte, dass wir dringend unseren Stromverbrauch reduzieren müssen. Im letzten Jahr war es hier so kalt und die Strompreise stiegen auf das Dreifache. Billiger ist es, wenn man den (geschlossenen) Kamin heizt. Natürlich mit Holz. Dafür muss man Holz kaufen und sachgerecht und trocken aufstapeln. Dabei hat uns glücklicherweise Helge geholfen. Lisanne und die Kinder hatten viel Spaß, die ersten drei Anhänger mit Holzscheiten auszupacken. Die letzten musste dann Andreas erledigen.

Jetzt heizen wir jeden Tag zwei oder drei Mal unseren Kamin. Weil er im Spielzimmer steht und einen Anschluss an die Wintergartenfußbodenheizung hat, sind schon mal zwei Räume warm. Die meisten restlichen Räume werden auch davon mit geheizt – durch die Lüftungsanlage. Die Bäder werden separat geheizt. Die Dusche sehr warm, weil sie auf „3“ steht. Auf „1“ ist es zu kalt und die „2“ funktioniert nicht. Aber „3“ ist kuschelig warm, und wenn man mit nackten Füßen auf den warmen Kacheln steht, ist das sehr entspannend. Nur auf dem Klo kann einem ganz schön heiß werden.

Wir haben auch schon mehrere Picknicks vor unserem Kamin gemacht und sogar versucht, Marshmallows zu grillen. Die werden schön weich, aber leider nicht braun. Und man braucht einen guten langen Stock! Bei einem dieser Picknicks entdeckte Andreas an der Seitenwand des Kamins einen eingebeulten Riss. Und der Kamin glühte gerade auf Hochtouren! Schreck und Angst, aber Helge erzählte uns später, dass der Riss da schon seit mindestens 10 Jahren drin ist und es nichts macht. Man sieht ihn auch nur, wenn man direkt daneben sitzt und gute Beleuchtung hat.

Nach vier Wochen gab die Spülmaschine ihren Geist auf. Achtzehn Jahre hatte sie den beiden alten Leuten gut gedient, aber wir haben ihr dann wohl zu viel Abwasch zugemutet. Zum Glück hatten wir unseren Geschirrspüler aus Berlin mitgebracht, so dass wir nach vier Tagen Handarbeit und einer abenteuerlichen Tauschaktion wieder zum gewohnten Alltag zurückkehren konnten. Was daran abenteuerlich war? Die Küche hier ist eine maßgeschneiderte Einbauküche! Passt der Geschirrspüler oder passt er nicht? Er passte, aber die Tür steht etwas vor.

Außer der Wohnung haben wir uns sogar schon etwas mit dem Garten beschäftigt: Laub geharkt und einen Kompost angelegt. Ansonsten gehen wir immer wieder durch den Garten und wundern uns. Hast du schon die 5 Tannen hier drüben gesehne? Und die Kastanie? Das dort sind Johannisbeeren, aber alles nur schwarze. Was, der Felsen gehört auch noch dazu?

Andreas hat jedenfalls bis jetzt immer vor der Menge des Durcheinanders kapituliert. Es war einfach zu schwierig, einen Plan zu zeichnen. Und dann muss ja auch entschieden werden: welche Pflanzen und Bäume müssen raus? Was wollen wir umgestalten? Was noch einpflanzen? Da hat er lieber mit etwas Einfachem angefangen und baut nun mit den Kindern ein Baumhaus auf der höchsten Spitze unserer hauseigenen Fichte.

Die Garage und die davor liegenden Wirtschaftsräume stehen erst für nächstes Jahr auf dem Plan, genauso wie unsere Ferienwohnung. Zum Glück sind dort ja die Möbel drin geblieben, man kann also alles benutzen.

Formelles

In Norwegen spricht man sich fast ausnahmslos mit „Du“ und dem Vornamen an. Wer Spaß daran hat, kann das mal in Gedanken in Deutschenland probieren: mit dem Schuldirektor, seinem Chef, den Verkäuferinnen im Supermarkt, dem Versicherungs­vertreter, den anderen Eltern in der Elternversammlung, auf dem Arbeitsamt und nicht zuletzt mit allen Lehrern, die die Kinder und man selbst haben.

Es ist noch ungewohnt, sich am Telefon nur mit dem Vornamen zu melden. Wir hoffen auch, dass man sich in dieser neuen Ordnung trotz allem zurechtfindet, denn der norwegische Telefonkatalog ist nach den Nachnamen geordnet.

Es ist weder üblich, Licht am Fahrrad zu haben noch seine Hausnummer oder seinen Namen irgendwo lesbar anzubringen. Nicht dass es verboten wäre, es ist nur jedem selbst überlassen.

Ein Klassiker der norwegischen Kinderliteratur ist „Die Räuber von Kardamomme“, geschrieben von Thorbjörn Egner kurz nach dem 2. Weltkrieg. Das Gesetz von Kardamomme lautet: „Plage andre nicht! Sei lieb und nett! Und im Übrigen kann man machen was man will.“ Soweit wir das bis jetzt beurteilen können, beschreibt diese Stelle ziemlich genau die Lebenseinstellung der Norweger.

Ansonsten gibt es natürlich auch hier Hierarchien und ungeschriebene Gesetze, die wir mit der unbekümmerten Ahnungslosigkeit Neuzugereister bestimmt schon mehrfach gebrochen haben.

Schule

Das norwegische Schulsystem versucht, die Kinder so lange wie möglich auf dem gleichen Niveau und mit den gleichen Chancen lernen zu lassen. Von der 1. bis zur 7. Klasse geht man auf die barneskole und danach auf die ungdomsskole. Dort gibt es sogar Zensuren (karaktere). Nach der 10. Klasse kann man dann wählen, ob man das Gymnasium besuchen möchte oder eine der zahlreichen vidergåenden skolen, die so eine Art Berufsschule darstellen.

Unsere Kinder gehen jetzt in die 2., 5. und 8. Klasse, jede dieser Klassen hat etwa 20 Kinder. Unsere erste Begegnung mit den Schulen hatten wir ja schon im September, als Andreas und Lisanne die Kinder dort angemeldet haben. Danach bekamen die Kleinen dicke Briefe mit bunten Grüßen von ihren zukünftigen Klassenkameraden und Felix eine Reihe E-Mails von seiner persönlichen Norwegischlehrerin Eva.

Være sammen

Am Dienstagabend, dem 21. 10. landete unser Flugzeug in Kristiansand. Vierundzwanzig Stunden später war Lisanne mit Flora das erste Mal in der Schule.

Jedes Jahr gibt es für alle Schüler der 5. Klasse und ihre Eltern eine Serie von vier Abenden, die den Kindern zeigen sollen, dass man es auch ohne Drogen nett haben kann. Dazu trafen wir uns in der Schule und lernten von den Instruktoren des „Kom og dans“ -Vereins ein paar Tänze. Natürlich den Ententanz (mit dem Schnabel klappern, den Flügeln schlagen und dem Hintern wackeln), aber auch Volkstänze im Kreis oder paarweise, Twist und Disko-Fox. Nach etwa einer Stunde Hopserei (die meisten dieser Tänze sind mit Hüpfen und Springen) bekamen die Erwachsenen Kaffee und die Kinder Kuchen.

Dann gab es den eigentlichen Belehrungsteil: etwa eine Viertelstunde sprach jemand über ein Thema, manchmal auch mit ein paar Übungen. An den Abenden, die Lisanne dabei war, ging es um Grenzen und um Sicherheit. Wann hat man Angst? Wie fühlt man sich sicher, was hilft einem dabei? Wie ist es, mit geschlossenen Augen von anderen im Kreis herumgeschickt zu werden? Was ist eine Grenze, was sind unsichtbare Grenzen? Wie merkt man, dass man sich einer unsichtbaren Grenze nähert, sie überschreitet? Was kann man dann tun?

Nach so vielen schwierigen Fragen wurde weitergetanzt, noch einmal etwa eine halbe Stunde. Das war ganz schön lang, denn die Kinder verschwanden nach und nach im Nebenzimmer mit Boxbirne und Schaumgummiwürfeln, während die Erwachsenen begeistert dem Tanzlehrer folgten. Da muss Lisanne dringend noch an ihrer Kondition arbeiten! Ein bisschen hin- und hertwisten ging ja noch, aber jetzt: auf einem Bein, auf dem anderen, in der Hocke, auf dem Bauch und auf dem Rücken!

Der letzte Abend war ohne Unterricht, aber mit echter Flackerlichtdisko, Seifenblasenmaschine und Pizza. Diesmal durften die Erwachsenen sogar eine Weile im Nebenzimmer schwatzen, während die Kinder die Disko ganz für sich alleine hatten. Natürlich gab es Kuchen und Twist.

Für Flora war das være sammen ein wunderbarer Start. Nachdem sie sich eine halbe Stunde ängstlich beim Tanzen an Lisanne geklammert hatte und die fremden Mädchen tuschelnd darum herumgeschlichen waren, zog eine von ihnen Flora mit sich, um mit ihr zusammen einen wilden Tanz aufzuführen. Seitdem ist sie der Star im ihrer Klasse.

Alltag

Die Schule beginnt um 8.30 Uhr. Das bedeutet, dass die Großen zu dieser Zeit im Klassenraum sein sollten und die Kleinen draußen vor ihrem Pavillon stehen.

Die barneskole besteht aus drei Häusern und einem geradezu unglaublichen Freigelände. Spielplatz kann man das nicht nennen, es würde auch niemals von einem deutschen TÜV zugelassen werden.

In dem Wald mit Felsen haben die Eltern vor einigen Jahren eine Hindernisstrecke gebaut, Schaukeln, Seile, die von Bäumen hängen und Plattformen, die in zweieinhalb Meter Höhe durch einzelne Seile oder halbe Strickleitern verbunden sind. Man kann Hütten bauen, natürlich gibt es einen Fußballplatz und einen Sandkasten mit Pumpe. Die ist wenigstens jetzt im Winter nicht in Betrieb. Die Pavillons befinden sich auf einem Berg und außer einer Treppe gibt es noch mehrere verschieden steile Abhänge, die die Zugangswege darstellen. Einer davon, bestimmt 30 Meter lang und deutlich steiler, als man einem Auto zutrauen würde, ist der Rodelhügel.

 

Frieders Stundenplan sieht so aus:

 8.30 Reingehen, ausziehen, erste Stunde.

 9.15 Anziehen, Rausgehen

 9.30 Reingehen, ausziehen, zweite Stunde

10.30 Anziehen, Rausgehen

11.00 Reingehen, ausziehen, Frühstück essen und dabei eine Geschichte hören

11.30 Letzte Stunde

12.15 Schulschluss

 

Freitag hat Frieder immer turdag. Das bedeutet, dass die Kinder von 8.30 Uhr bis 12.15 Uhr mit dem Lehrer wandern, Lagerfeuer machen, Würstchen grillen, Stöcke schnitzen, Pflanzen kennen lernen und Ähnliches. Flora hat schon etwas mehr Stunden und keinen turdag. Dafür geht die Klasse alle 2-3 Wochen mal für zwei oder drei Schulstunden auf Exkursion, Programm siehe oben. Felix hat jeden Tag 6 Stunden, da schickt auch keiner mehr die „Kinder“ raus oder macht eine extra Essenspause.

Niveau

In Mathematik dürften unsere Kinder kein Problem bekommen, die norwegischen Schüler sind etwa ein bis zwei Jahre zurück. In Frieders 2. Klasse wurde gerade die Null eingeführt, nachdem die Kinder bis zur 5 rechnen konnten, auch haben sie noch nicht alle Buchstaben. Flora wiederholt gerade das Einmaleins. Es gibt keine Zensuren, dafür aber sehr oft eine gangeprøve, so eine Art Zwischentest. Der kommt in allen Fächern vor und fast jede Woche, da steht dann drunter, was man kann und was man mehr üben soll.

Felix hatte jetzt Tentamen, das ist so eine Art Übungsexamen in Mathe, Norwegisch und Englisch. Dafür ist zum Ende des Halbjahres jeweils ein Tag frei, wo dann das Tentamen in dem entsprechenden Fach geschrieben wird. Felix hat in allen drei Fächern eine Fünf bekommen. Das erste Schulhalbjahr geht hier von Mitte August bis Weihnachten, das Zweite von Januar bis Mitte Juni. Und die Zensuren gehen von 6 bis 1, wobei die 6 natürlich das Beste ist.

Die Mitarbeit und das Interesse der Eltern sind hier sehr erwünscht. Frieders Klasse macht mehrere Male im Schuljahr ein Lagerfeuer, da können alle Familien hinkommen und ihr selbst mitgebrachtes Abendbrot essen. Die Kinder spielen und die Erwachsenen unterhalten sich, so lernen sich alle besser kennen. Das Wetter spielt keine Rolle, gegrillt wird auch im Dunkeln und bei Regen.

Außerdem gibt es etwa alle 6 Wochen einen spillekveld (Spielabend), wo die Kinder sich in wechselnder Besetzung in kleinen Gruppen treffen, um auch mal Besuch zu haben und sich besser kennen zu lernen. Die Eltern sollen eine halbe Stunde vor dem Ende kommen, damit auch sie Gelegenheit zum Schwatzen haben.

Floras und Frieder bekommen jede Woche einen Ukeplan (Wochenplan) mit nach Hause. Da steht drin, was in der Woche gemacht wird und welche Hausaufgaben für welchen Tag zu erledigen sind. Außerdem gibt es meist einen kleinen Text, in dem der Lehrer über besondere Ereignisse informiert. Auf Floras Zettel steht jede Woche, dass man an das Sportzeug denken soll und das soziale Thema der Woche. Solche Themen können sein:

Wir sind höflich zueinander.

Was bedeutet Freundschaft?

Wir schließen keinen aus.

Wir muntern uns gegenseitig auf.

Und so weiter.

Insgesamt wird in der Schule sehr viel Wert auf soziales Miteinander, Bewegung an frischer Luft und kindgerechte Beschäftigung mit viel Freude gelegt. Unsere Kinder kamen völlig entsetzt vom Sportunterricht zurück: „Mama, da spielen die ja nur!“ Erst kommt freies Bewegen mit selbst ausgewählten Geräten, dann Mannschaftsspiele oder ein wenig angeleitetes Turnen. Niemanden stört es, wenn die Kinder nicht rennen, wenn Ausdauerlauf angesagt ist, man kann sich dabei durchaus auch mal auf die Matten legen!

Der Stundenanteil an Kunst und Handwerk ist genauso hoch wie Mathe, Norwegisch oder Gesellschaftskunde/Religion. Da haben unsere drei ganz schön viel Nachholbedarf. Flora musste gerade ein Kissen nähen, teils mit der Nähmaschine, teils per Hand. Felix hat ein Holzkästchen mit gebogenem Deckel und Metallverzierungen gebaut.

Außerdem gibt es noch das Wahlfach. Frieder konnte wählen zwischen: Draußen spielen, Drinnen spielen, Brettspiele spielen, Fußball spielen und Malen, Felix zwischen Deutsch, Spanisch, Kochen und Legomaschinen bauen.

Wir waren sehr verwundert, als Frieder gleich am ersten Tag eine Einladung zum Kindergeburtstag mitbrachte. Das ist aber ganz normal, denn die Regel lautet, dass man entweder alle Mädchen, alle Jungs oder alle Kinder aus der Klasse einladen muss. Geschenke können einen Wert bis zu 50 Kronen (6 Euro) haben, meist wird Geld geschenkt, was bei 10 bis 20 Gästen auch Sinn macht.

Norwegisch lernen

Unsere Kinder konnten bis zum Umzug immerhin auf Norwegisch bis 10 zählen und sagen, wie sie heißen. Das ist für den Schulalltag natürlich ein bisschen wenig.

Deshalb hat Felix eine persönliche Norwegischlehrerin bekommen. Eva unterrichtet sonst Deutsch für die norwegischen Kinder. Sie nimmt mit Felix dasselbe Lehrbuch wie Andreas in seinem Erwachsenenkurs: Ny i Norge. Nach drei Schulwochen war Felix schon bei Lektion 12! Er lernt sehr schnell und alle sind hochgradig zufrieden. In den Pausen spielt er Karten, ansonsten haben wir allerdings weder Kinder noch Eltern von seiner Klasse kennen gelernt.

Flora und Frieder haben zusammen eine Norwegischlehrerin, vier mal in der Woche für eine Stunde. Sie führt ganz systematisch und mit viel Wiederholung Zahlen, Farben, Gegenstände im Haus, Gegenstände in der Klasse, Lebensmittel usw. ein. Außerdem wird gesungen und ein Büchlein vorgelesen und so wachsen die Kenntnisse.

Zusätzlich hat die Schule eine Dolmetscherin engagiert. Maren ist Deutsche, wohnt aber schon seit 16 Jahren hier und hat zwei große Töchter. Maren ist nicht nur für die Kinder ein Glücksfall, sondern auch für uns, denn woher hätten wir sonst all die Hintergrundinformationen. (Zum turdag gibt man am besten mindestens 2 Paar Hand­schuhe mit. Der Schulzahnarzt schickt einen Zettel mit Termin. In der Frühstückspause wird gerade ein Buch von … vorgelesen. usw.)

Frieder hat seit der 5. Schulwoche nur noch eine Stunde mit Maren, Flora darf sie noch etwas länger behalten. Der Stoff in der 5. Klasse ist doch etwas schwieriger: Wörter mit sk, skj und sj auseinander halten zum Beispiel. Davon gibt es sehr viele, und die werden fast alle gleich, nämlich mit „sch“ gesprochen.

Insgesamt finden sich die Kinder sehr gut zurecht, sowohl sozial als auch sprachlich. Allerdings ist es sehr anstrengend. Das merken wir dann zu Hause, wenn die Kondition nachlässt und die emotionalen Wellen hochschlagen.

Schule für Erwachsene

Andreas und Lisanne müssen natürlich auch norwegisch lernen. Für Andreas war es ganz einfach, einen Kurs zu finden: den Einwanderer-Anfängerkurs. Die waren zwar schon bei Lektion 7, aber das wurde durch das langsame Tempo und Andreas Einsatz wieder wett­gemacht. Außerdem versteht Andreas sowieso alles (sagt er jedenfalls). Deshalb geht er auch noch mit Lisanne zum Norwegischkurs an der Uni, zu John Landrø. Das ist so eine Art Landes-, Gesellschafts-, Orts- und Sprachkunde. Sehr informativ, wenig systema­tisch. Aber auch Lisanne brauchte noch einen Kurs. Der Chef der Sprachschule empfahl die Mittelstufe vom Einwandererkurs, nahm das aber nach den ersten 3 Stunden sofort zurück. Leider war dann nur noch der Oberstufenkurs übrig – und der ist wirklich schwierig.

So sind wir fast die ganze Woche damit beschäftigt, die Sprache zu lernen: Montag und Mittwochabend Andreas, Dienstagabend Lisanne und Donnerstagvormittag beide.

Felix hatte neulich ein ganz besonderes Erlebnis. Andreas wollte zum Sprachkurs, und Felix fragte ihn: ”Sykler du?” (Fährst du mit dem Fahrrad?) Andreas stutzte eine Sekunde, antwortete aber fehlerfrei: ”Ja.” Daraufhin Felix: ”Pleier du å sykle?“ (Pflegst du Fahrrad zu fahren = Machst du das immer so?) Große Augen bei Andreas, unendlicher Stolz bei Felix! Und Lisanne lacht sich ins Fäustchen, denn grade hatte sie ein Kinderbuch gelesen, in dem dauernd dieses „pleier“ vorkommt, und sie hatte es im Wörterbuch nachgeschlagen.

Einkaufen und Essen

Jeder, der schon mal länger in südlichen Gefilden weilte, weiß, wie es dort mit dem Brot ist: schön frisch und weiß und locker, aber was ist man froh, wenn man wieder zu Hause essen kann!

Das norwegische Brot ist sehr gesund. Viel Vollkornmehl, viele Körner und Samen. Frisch, locker und luftig. Außerdem gibt es weiche Zimtbrötchen, so genannte Boller. Und konsistenzlose runde und eckige Brötchen (rundstykker og T-briks).

Wir haben ja einen Brotbackautomaten, hatten aber noch nicht die Geduld, etwas anderes als Fertigbackmischungen zu verwenden (und auszuprobieren, uns fehlt die Erfahrung

im selber Backen). Frisch, luftig, locker…..

Die Kaufhallen (Supermärkte) haben hier sogar bis 19 oder 20 Uhr geöffnet. Alle anderen Geschäfte schließen spätestens um 17 Uhr. Da steht man also in seiner butikk (Lebensmittelladen) und versucht, den Einkaufszettel abzuarbeiten. Wo steht was und wie sieht es hier aus? Fünf Sorten Haferflocken, aber welche ist die Richtige? Was für ein Brot soll man nehmen?

Das Angebot an Obst und Gemüse ist dem Deutschen ähnlich und an die Preise gewöhnt man sich. Man weiß auch bald, was preiswert ist und was nicht. Vor dem Einkaufs­zentrum gibt es einen Gemüsestand, der oft verbilligte Waren hat. Dort haben wir schon Kohlköpfe zu 70 Euro-Cent und Bananen und Äpfel zum halben Preis gekauft. Unge­waschene Kartoffeln (mit roter Schale) sind im 15kg Sack auch recht preiswert (9Euro).

Insgesamt sind die Lebensmittel etwas teuerer und die Auswahl ist geringer.

Schlimmer sind die Sachen, die es schlichtweg hier einfach nicht gibt oder nur zu horrenden Preisen: ein Glas Sauerkirschen für 5 Euro. Schmalz, Apfelmus, Sauerkraut, Lebkuchen, weiße Bohnen, Pfefferkuchengewürz, Carokaffee, H-Milch – was ist das?

Aufgrund des veränderten Angebots, vielleicht auch, weil wir mehr an der frischen Luft sind, ändern sich die Essgewohnheiten und die Bedürfnisse. Wir haben in den zwei Monaten hier so viele Würstchen und Buletten gegessen wie im ganzen letzten Jahr zusammen. Auch der Fisch schmeckt gut (1kg Lachs 6 Euro), aber das ist schwierig, weil die Kinder den ja nicht so mögen.

Die Alltagsgewohnheiten hier verändern auch unseren Tagesplan: Früh gibt es Frühstück und für jeden ein matpakke (Brotbüchse). Die Kinder kriegen nach der Schule einen kleinen Imbiss und gegen 17 Uhr gibt es middag: warmes gekochtes Essen, oder etwas am Lagerfeuer. Danach ist oft noch Zeit zum Vorlesen und für einen netten kleinen süßen Nachtisch (oder Nacht-Tisch?). Schwierig wird es nur, wenn die Kinder um 2 so hungrig aus der Schule kommen, dass aus dem Imbiss ein Festmahl wird und der ganze Plan durcheinander kommt. Oder wenn das Essen um 5 noch längst nicht fertig ist.

Es gibt kein schlechtes Wetter

Es gibt nur ungeeignete Bekleidung. Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass unsere ganzen schönen Berliner Stadtsachen vielleicht im Sommer ganz passend sein könnten.

Für turdage, Sonntagsspaziergänge norwegischer Art, Gartenarbeit und Grimstads Novem­ber­wetter waren sie jedenfalls nicht geeignet. Grimstad gilt hier als Ort, an dem sich Einkaufen nicht lohnt, man fährt nach Arendal (20km) oder Kristiansand (50km). Dort gibt es großflächige Einkaufszentren, in denen sich Uneingeweihte niemals zurechtfinden. So erweiterten wir unsere Orts- und Einkaufskenntnisse ziemlich schnell.

In Arendal gab es so eine Art Woolworth (Sparkjøp), in dem wir lange Wollunterwäsche, Wollsocken und ähnliches erstanden. In Grimstad fanden sich noch die unentbehrlichen fellgefütterten Gummistiefel für die Kinder, ein gummibeschichteter Schneeanzug für Frieder und schließlich sogar Anorak und gefütterte Hose für Lisanne. Von Unnmengen an warmen und/oder wasserdichten Handschuhen mal ganz abgesehen. Jetzt fehlen bloß noch Wanderschuhe für alle und Regensachen für die Erwachsenen. Zum Glück hatte Lisanne ja in Deutschland noch wetterfeste Tchibojacken und Plus-Matschhosen für die Kinder besorgt. Ohne die wären sie wahrscheinlich schon völlig aufgeweicht.

Hier hat es nämlich fast den ganzen November über geregnet. Mal mehr, mal weniger. Mal nieselnd, mal gußartig. Leider muss man trotzdem das schöne warme und trockene Haus verlassen. Draußen ist alles naß und trübe, und der Himmel hängt so tief, dass man sich wie in einer grauen Käseglocke fühlt. Allgemein wird der November hier als der ungemütlichste Monat betrachtet, es kann also nur besser werden. Und im Dezember hatten wir ein paar Sonnentage! Oder wenigstens Sonnenstunden. Um 9 geht die Sonne auf, um 4 unter. Ab 2 merkt man, dass sie auf dem absteigenden Ast ist, an trüben Tagen muss man dauerhaft Licht anzünden. Aber wenn die Sonne scheint, ist es hier traumhaft. Wir haben noch nie einen immer und immer wieder so schönen Himmel gesehen.

Elche

Hier müssen wir die geschätzten Leser leider enttäuschen. Da am Vestre Grøm inzwischen etwa 20 statt 2 Häusern stehen, kommen die Elche nicht mehr bis in den Garten. Wir haben auch sonst noch keine gesehen.

Dafür haben wir drei Katzen, die uns gelegentlich besuchen kommen und massenhaft Vögel: Meisen, Grünfinken, Rotkehlchen, Amseln, Elstern, und ab und zu sogar einen Specht.

Das Wandern ist des Müllers Lust

Jeder echte Norweger geht am Wochenende mindestens einmal auf tur, also spazieren, hinaus in die freie Natur. Erstens ist das nicht verwunderlich, weil es hier nichts anderes gibt, und zweitens ist es wörtlich zu nehmen. Außerhalb privat genutzter Wohn- und Gartenflächen darf man hier überall rumlaufen, so dass sich das Anlegen von Wegen als überflüssig erweist. Man weiss ja nicht, wo die Leute rumlaufen wollen.

Da wir noch keinen Kompass besitzen, kein Handy und auch sonst nur bedingt ortskundig sind, versuchten wir also zuerst, in der Stadt spazieren zu gehen. Das ist ganz nett und ziemlich ungefährlich. Man kann hinunter zum Strand nach Groos gehen und dort ein wenig auf den Felsen herumklettern und geheime Grillplätze finden (die Grills stehen da zum allgemeinen Gebrauch schon rum.)

Als nächstes wagten wir uns auf einen der bekannten Stadtberge, den Binabben. Man hat eine wunderschöne Aussicht von dort bis auf die Schären und das offene Meer. Nächstes Mal müssen wir unbedingt eine Taschenlampe für die Höhlen und etwas Picknick mitnehmen.

Die Kinder hatten inzwischen im Wald hinter dem Haus festgestellt, dass der Wald eigentlich ein Gebirge ist, von dessen höchstem Punkt man einen wunderbaren Ausblick auf die Schärenlandschaft hat. Mit der Klasse waren sie auch wandern, aber da muss hinter diesem Berg und der darauf folgenden Schlucht noch ein ganz toller Felsen sein, auf dem man ein Lagerfeuer anzünden kann und von dessen Spitze man einen tollen Ausblick hat.

Da wir das Meer auch einmal von Nahem sehen wollten, wagten wir uns bis nach Homborsund vor. Homborsund ist ein Dorf auf der gleichnamigen Halbinsel und liegt etwa 6 km von Grimstad entfernt direkt am Skagerrak. Auf der Halbinsel gibt es ein Naturschutzgebiet mit ausgeschildertem Wanderweg, die kalvehageneset (Kalbsgarten­land­zunge). Der größte Teil des Weges besteht aus verschieden hohen graubraunen Felskuppen, auf denen ab und zu ein verwitterter Holzpfahl mit ehemals roten Streifen steht. Später geht der Weg in eine Art Wald über und ist mit roten Punkten gekennzeichnet. Und tatsächlich gibt es hier zwei Strände! Der eine ist etwa 20 Meter lang und der andere sogar dreißig. Aber es war doch zu kalt zum Baden, und es lagen auch so viele von den großen braunen Feuer-Quallen dort rum.

Da wir nicht jedes Mal so weit fahren wollen, erkundeten wir letztes Wochenende das nächstgelegene Naherholungsgebiet (friluftsområde): Marivold. Das ist eine Halbinsel, die die andere Seite der Grimstader Bucht mit der Schärenlandschaft verbindet. Dort gibt es einen großen Caravanpark, viele Felsen und ein paar Grillgeräte. Markierte Wanderwege sind hier nicht nötig, denn man landet (zweifelsfrei und ziemlich schnell) immer am Wasser. Allerdings ist es gut, bei Ebbe zu kommen, sonst muss man unter Umständen einen großen Umweg von einem Felsen auf den nächsten machen.

Einen ganz besonderen Ausflug hatte Andreas mit den beiden großen Kindern. Sie durften mit einem von Andreas Kollegen an einem nebligen Freitagnachmittag zwischen den Lillesander Schären Boot fahren und angeln. Felix hat tatsächlich einen Fisch gefangen, einen Sei (Seelachs). Den haben wir dann gebraten zum Abendbrot verspeist.



[1] Das mit dem Arbeitsamt musste sein, weil es noch 90 Tage Geld von Deutschland gab, aber die Anmeldefrist war gerade mal 3 Tage: was Montag in Berlin abgemeldet war, musste spätestens Mittwoch in Norwegen wieder angemeldet werden. Und das mit dem Essen musste erst recht sein!

[2] Unsere Zimmerpflanzen mussten drei Nächte bei Frost im Laster stehen! Da sie in Zeitungen gewickelt mehrfach übereinander in Umzugskartons gestapelt waren, haben sie das doch etwas übel genommen.