Feriensommer, Sommerferien

Zeit für einen neuen Bericht! Schulende, Sommerwetter, Ferienanfang und Besuch waren voller Erlebnisse, an denen wir Euch gerne teilhaben lassen wollen.

Schule ade

Die letzten Schulwochen vor dem Sommerferienstart am 19. Juni waren randvoll mit besonderen Ereignissen. Das Wetter wurde wärmer, die Kinder waren eingewöhnter und es gab eine Menge zusätzlicher Aktivitäten, die draußen stattfanden. Dazu kam, dass Flora nicht nur oft Besuch hatte, sondern auch mit dem Fahrrad zu ihren Freundinnen fuhr. Manchmal übernachtete sie sogar woanders – am liebsten bei Evy, ihrer besten Freundin. Die hat ein Gästebett in ihrem Zimmer (das obere Doppelstockbett), aber viel besser schläft es sich draußen, im Schlafsack auf dem großen Trampolin, trotz Mücken und kalter Nächte.

Die Jungs waren natürlich neidisch. Wir haben überlegt, ob wir uns auch so ein Trampolin anschaffen, aber es hat ca. drei Meter Durchmesser. Wir wissen einfach nicht, wo wir es hinstellen sollen, denn unser schöner großer Rasen liegt auf einer steilen Schräge und ist schon so gefährlich genug. Als Trost haben wir den Kindern eine Wasserrutschbahn gekauft. Das ist eigentlich nur ein langer Streifen Plastefolie, aber auf unserem Rasenberg wird er – mit Wasser besprüht - zu einer Kinderattraktion. Wir haben die längste freie Strecke ausgesucht, die es im Garten gibt und die Kinder sausen nass, kalt, grasverklebt und quietschend  von der Terrasse bis unter die Tannen.

In der Schule ballten sich die Aufregungen so kurz vor den Ferien. In der zweiten Juniwoche war Küstenkulturwoche, eine Projektwoche, in der die Kinder das Leben am Meer besser kennen lernen. Dabei hat in unserer Schule jede Klassenstufe ihr eigenes Programm. Die zweite Klasse erforscht den lokalen Badestrand auf der Halbinsel Groos, die dritte Holvika - den Ortsteil, zu dem die Schule gehört, die vierte Klasse beschäftigt sich mit dem nächstgelegenen Fjord und siebente mit dem Reddalskanal, der zwei Binnenseen mit dem Meer verbindet. Die sechste Klasse macht sogar eine mehrtägige Reise auf eine der Schäreninseln. 

In der fünften, also Floras Klasse ging es um die Håøya (die hohe Insel). Henrik Ibsen hat dort als Apothekerlehrling Arzneipflanzen gesammelt. Ansonsten ist die Insel vor allem als Lotseninsel bekannt, weil sie einen „äußeren Hafen“ hat, der direkt am Meer liegt. Die großen Segelschiffe kamen früher oft nicht bis an die Stadt heran, weil es zu gefährlich war, durch den Schärengürtel zu kreuzen.

Die ganze Klasse wurde zweimal auf die Insel gebracht, von Eltern in deren Booten. Auf dem Wochenplan stand: Bootsfahrdienste erwünscht, Schwimmwesten zwingend erforderlich. Wir bezweifelten ernsthaft, dass auf diese Weise alle Kinder mitkommen würden, aber es war überhaupt kein Problem. Es scheint also doch (fast) jeder Grimstader ein Boot zu haben. Die Schwimmweste konnten wir erst mal ausborgen, haben aber danach angefangen, uns eigene anzuschaffen, denn nächstes Jahr gibt es ja wieder eine Küstenkulturwoche.

Auf der Håøya durften die Kinder baden, angeln und grillen. Außerdem sollten sie eine Kohlezeichnung anfertigen, lernten massenhaft über die alte Lotsensiedlung, die Pflanzen und das Leben auf der Insel, wanderten und sammelten alle ihre Erkenntnisse und Erlebnisse in einem eigenen Håøya-Hefter.

Zum Abschluss der Woche sagten sie gemeinsam das dramatische und dreiundvierzig Strophen lange Lotsengedicht „Terje Wigen“ von Ibsen auf, jeder eine Strophe. Flora hatte Strophe 17 (natürlich auf Norwegisch):

 

Gaeslingen heißen die Schären blind,

etwas östlich von Homborg-Sund.

Dort bricht es gar schwer bei frischem Wind,

unter zwei Fuß Wasser ist Grund.

Dort spritzt es weiß, glitzert die Gischt

Selbst an meeresstillem Tag.

Doch wenn die Dünung noch so zischt,

hinter den Schären sie schnell erlischt

nach gebrochenem Wellenschlag.

(Gyldendal Norsk Forlag, deutsche Nachdichtung von Odd Jensen)

 

Nach der Küstenwoche war das Schuljahr eigentlich vorbei, denn die letzte Woche wurde vor allem zum Büchereinsammeln und Aufräumen benutzt. Die Kinder hatten noch einen Aktivitätstag, etwas, das man auf Deutsch am besten mit: spaßiges Sportfest übersetzen würde. Frieder war jedenfalls restlos begeistert und völlig geschafft, denn er fand den meisten Spaß beim Staffellauf, an dem er deswegen gleich fünfmal teilgenommen hatte.

Am letzten Schultag, Freitag, dem 18. Juni, gab es für die Grundschüler nur noch drei Stunden, von denen die erste Hälfte offizieller Abschluss mit Reden, Vorführungen und Verabschiedungen und die andere Hälfte ein Klassenfest war: Brause und Süßkram durften mitgebracht werden. Danach war das Schuljahr zu Ende. Für uns doch etwas ungewohnt, brachten die Kinder zwar massenhaft alte Hefter, gemalte Bilder, gebastelte Kunstwerke und ramponierte Federtaschen mit nach Hause, aber keine Zeugnisse! Nicht einmal eine wörtliche Beschreibung (oder wie das auf Deutsch heißt).  

Für Felix war das etwas anders. Zwar hatte er auch eine Aufräumwoche, aber in der achten Klasse gibt es die ersten Zeugnisse für die norwegischen Kinder, und so konnte Felix belustigt der langen und ausschweifenden Rede seiner Klassenlehrerin zuhören, die den anderen Kindern die Vor- und Nachteile von Zeugnissen näher brachte, die Spannung noch etwas steigen ließ und Trost und Mahnungen verteilte.

Felix eigenes Zeugnis ist wie immer gut: eine Sechs in Mathematik, Vieren in den Geisteswissenschaften (Gesellschaftskunde und Religion) und Fünfen in allen anderen Fächern. In Ordnung und Verhalten hat er jeweils ein „G“ bekommen, da das Zeugnis aber keine Legende hat, wissen wir nicht, was das bedeutet.

Ja, und dann waren plötzlich Sommerferien, die ersten in Norwegen, acht lange sonnige Wochen ohne Schule und frühes Aufstehen, ohne Hausaufgaben, Sportvereine und Klavierunterricht, aber mit einem neuen Buddelkasten oben auf unserem Felsen, einem riesigen Garten voller Kirschen, Erdbeeren und Blaubeeren, mit Zeit und unzähligen Bademöglichkeiten in nächster Nähe.

 

Gratulerer med dagen (oder auf deutsch: Happy birthday)

Für uns ist der Juni immer ein sehr aufregender Monat. Flora und Frieder haben Ende Juni Geburtstag und Andreas fährt zur SDL-Konferenz, die meistens Ende Juni stattfindet. Dieses Mal war Andreas in Kanada und zum Glück schon wieder zu Hause, als es mit den Geburtstagen in die heiße Endphase ging.

Beide Kinder hatten nach dem Beginn der Sommerferien Geburtstag, also war eins klar: wir mussten vorfeiern. Flora wollte eigentlich am Samstagabend eine Party ausrichten, dann sollten die Gäste bei uns übernachten und Sonntag, an ihrem „richtigen“ Geburtstag, gleich weiter feiern. Mit viel Überredungskunst konnten wir sie dazu bringen, dass nur drei der Mädchen bei uns zum Schlafen und  alle zwölf Klassenkameradinnen für die Feier eingeladen wurden. Die Alternative wäre gewesen, mit der ganzen Klasse -einundzwanzig Kindern – zu feiern, denn man darf hier niemanden ausschließen. Eigentlich ein vernünftiger Gedanke  - bis wir anfingen darüber nachzudenken, was wir denn mit so vielen Kindern unternehmen sollten.

Außerdem war da ja noch Frieder. Der ließ gleich gar nicht mit sich reden und bestand darauf, in der letzten Schulwoche die gesamte Klasse (zweiundzwanzig Kinder) zum Feiern einzuladen.

Also planten wir: Donnerstagnachmittag feiert Frieder, Samstag Flora plus Übernachtung und echtem Geburtstag am Sonntag. Wir waren etwas spät mit den Einladungen (wegen Kanada, Ohroperationen und auch sonst), Flora und Frieder sollten sie am Montag verteilen. Das ist in Norwegen eigentlich kein Problem, denn die meisten Termine werden kurzfristig bekannt gegeben. Aber als die Kinder aus der Schule kamen, war Flora todunglücklich: Die Mädchen aus ihrer Klasse hatten fast alle abgesagt, weil sie am ersten Ferientag schon unterwegs waren. Frieder dagegen brachte drei andere Einladungen zu vorfristigen Sommergeburtstagen mit: für denselben Donnerstag und dieselbe Zeit. Flora brachte auch eine für diesen Termin, für das Sommerabschlussfest mit ihrer Klasse, bei dem, wie bei allen ähnlichen Veranstaltungen, das Erscheinen der gesamten Familie erwünscht war. Was nun?

Erst mal gingen wir am Montagabend zu Frieders Sommerabschlussfest. Das fand auf der großen Wiese am örtlichen Badestrand statt. Alle kamen mit eigenem Essen und eigenen Stühlen[1], man konnte grillen, schwatzen und die Kinder rannten herum oder versuchten, am Steg Krabben zu fangen. Später gab es noch ein paar gemeinsame Spiele und einen so genannten „Naturpfad“, also eine Strecke, auf der man Zettel mit Quizfragen finden und beantworten sollte.

Natürlich waren auch die anderen Geburtstagsmütter dort und sehr interessiert daran, eine Lösung zu finden. So kam es, dass Frieder am Dienstag zu Sondre zum Geburtstag ging, am Donnerstag zu Flora und zu Johann, wofür er auf Floras Klassenfest verzichten musste, am Freitag feierte Adrian und am Samstag endlich Frieder selber.

Floras Feier hatten wir kurzerhand auf die Wiese am Badestrand verlegt, zwei Stunden vor ihr Klassenfest. Dort hatten wir massenhaft Platz, trockenes Wetter und zehn total begeisterte junge Damen, die eine riesige Löwenkopftorte mit ebensoviel Jubel bewunderten wie verspeisten. Wir hatten verschiedene Staffelspiele vorbereitet, und als die Aufgabe darin bestand, sich mit einem alten Unterhemd, einem langen Kleid, einer Mütze, Gartenpantoffeln und dicken Handschuhen zu bekleiden, so die Wendemarke zu umrunden und das Ganze an den Nächsten weiterzugeben, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr. Selbst Lisanne ging vor Lachen in die Knie.

Abgerundet wurde die Party mit einer ausgiebigen Schatzsuche, die  Felix akribisch geplant und vorbereitet hatte. Kleine gelbe Überraschungseier wurden mit Zetteln gefüllt und an den merkwürdigsten Orten versteckt. Die ganze Partygesellschaft stürzte dann in wilder Jagd von einem Ei zum nächsten Versteck, über Stock und Stein, Wiese und Brücke und zu Lisannes Entsetzen auch durchs Wasser: Felix hatte nämlich ein Ei auf einer kleinen Sandinsel, etwa drei Meter vom Ufer entfernt, versteckt. Pflichtbewusst hatte er außerdem einen kleinen Damm gebaut und Steine und Holzstücke draufgelegt, damit man die Insel trockenen Fußes erreichen konnte. Leider war aber gerade Flut, und als die Geburtstagsgesellschaft bei der Insel ankam, war der ganze Weg längst wieder überschwemmt. Was taten die norwegischen Kinder? Einfach rüberlaufen! Keiner kam auf die Idee, vorher die Schuhe auszuziehen oder die Hosen hochzukrempeln oder vielleicht das eine Mädchen mit den kurzen Hosen vorzuschicken.

Schließlich war der Schatz – die obligatorischen Süßkramabschiedstüten – gefunden, und das Fest konnte nahtlos in die Klassenfeier übergehen.

Beflügelt durch unseren Erfolg, bereiteten wir Frieders Party zwar bei uns zu Hause, aber nach dem gleichen Muster vor: Kuchen, Schatzsuche, Staffelspiele. Der Kuchen, eine Autorennbahn-Acht, fand noch einen gewissen Anklang, auch wenn die Mandarinen in der Füllung sich als völlig verfehlt erwiesen. Der Schatz war diesmal etwas leichter zu finden, aber die Staffelspiele waren eine Katastrophe. Nach der zweiten Runde hatte niemand mehr Lust und nach der dritten Runde streikten die Kinder.

Was macht man eine Stunde lang mit zwanzig Kindern, die keine Lust haben? Die Mädchen setzten sich auf die Terrasse und aßen Chips, während die Jungs unseren Rasen hinunterkugelten und versuchten, Felix umzuwerfen. „Mit großem Bruder toben“ war offensichtlich eine Attraktion. Jedenfalls für die Besuchskinder. Lisanne stand daneben und hatte riesige Angst, dass Felix zu Schaden kommen würde oder einen der sieben Angreifer in einer Selbstverteidigungsaktion ernsthaft verletzen könnte. Währenddessen untersuchte der behinderte Junge, der zu Frieders Klasse gehört, unter Floras Aufsicht unser Kinderzimmer auf das Genaueste, er hatte keine Lust, bei den anderen Kindern zu sein und wäre nur mit Gewaltanwendung nach draußen zu schaffen gewesen. Waren wir froh, als die Eltern pünktlich zum Abholen erschienen!

Die eigentlichen Geburtstage mit Geschenken, Erdbeertorte, Blumen und Kerzen waren dagegen die reine Erholung.

Häschen in der Grube

Zu jedem Geburtstag gehören natürlich Geschenke. Flora hatte zum ersten Mal seit langem richtige Wünsche: einen Fahrradhelm, eine Taucherbrille und einen Schnorchel.

Frieders Liste war, wie immer, lang und unbescheiden: Lupe, Radio, Fotoapparat, Fernrohr, Schneepflug, Fahrradklingel,…

Ganz unabhängig von diesen normalen Wünschen aber hatte sich im Laufe des letzten halben Jahres noch etwas anderes entwickelt: die Kaninchenfrage. Zunächst war es Heimweh, dann der schon lange unterirdisch schwelende Wunsch nach einem Haustier, dann das Beispiel unserer guten Freundin Maren mit dem ach so pflegeleichten Kaninchen und schließlich ein offizieller Geburtstagswunsch von Flora. Nachdem wir die verschiedenen Panikstadien (ein Kaninchen erfordert Verantwortung, ein Kaninchen ist kein Kuscheltier, es darf auch nicht mit im Bett schlafen, ein Kaninchen braucht Geduld, ein Kaninchen kostet Geld, das Zubehör kostet Geld, das Futter für ein Kaninchen kostet Geld) geduldig mit ihr besprochen hatten, waren wir schon Ende Mai soweit, dass wir über die reale Anschaffung eines solch lebendigen Geburtstagsgeschenks nachdenken konnten. Frieder sparte sich die ganze Panik, bestand aber darauf, auch ein Kaninchen zu bekommen, wenn Flora eins kriegt. Er wollte es auch manchmal füttern.

Wir begannen also, über die Unterbringung der zu erwartenden Tiere nachzudenken. Zuerst fand Lisanne heraus, dass es überhaupt nur eine Sorte Kaninchenkäfig zu kaufen gab, reichlich teuer, viel zu klein für zwei Kaninchen, mit drei Wochen Bestellzeit  und außerdem in Einzelteilen. Da Andreas zu dieser Zeit mit dem gebrochenen rechten Arm herumlief, war nicht zu erwarten, dass wir so einen Käfig vor Floras Geburtstag aufstellen konnten. Wir überlegten, ob wir einfach das Baumaterial kaufen, dann hätten wir immerhin die passende Größe selbst festlegen können, und Material bekommt man ja sofort. Lisanne fragte im Baumarkt nach. Material gab es, allerdings deutlich teurer als die Käfigteile. Auf die Frage, ob es denn möglich sei, die Teile nach Maß zugeschnitten zu bekommen, erntete Lisanne allerdings nur Ablehnung und verächtliche Blicke. Als Norweger hat man schließlich eine Motorsäge zu Hause. Oh, wie sehnten wir uns nach dem deutschen OBI-Vollkomfort!

Retter in der Not war, wie so oft, unser Hausvorbesitzer Helge. Er kannte jemanden, der noch zwei ehemals gebrauchte und selbstgezimmerte Käfige hatte. Lisanne besichtigte die Käfige, fand Zustand und Preis angemessen und kaufte sie. Blieb nur noch die Frage des Transportes. Die Käfige waren so groß, dass man einen Anhänger brauchte. Andreas war in Kanada, hätte mit dem kaputten Arm aber sowieso nicht fahren dürfen. Unser Auto hat eine Anhängerkupplung, aber Lisanne war noch nie mit Anhänger gefahren, und schon gar nicht rückwärts den Berg hoch, in eine schmale Einfahrt hinein. Was nun? Helge hatte Auto, Anhänger und Zeit…

Damit standen zwei Käfige auf unserem Hof, original und noch mit der letzten Einstreu ihrer früheren Benutzer. Lisanne wartete ein paar Tage, aber niemand begeisterte sich dafür, den alten Dreck wegzumachen. Schließlich erbarmte sie sich selber und wusch die Käfige mit dem vom Nachbarn geliehenen Hochdruckspüler, Fitwasser und einer Bürste. Außen war es natürlich kein Problem, aber innen war das dreckige Wasser so schwer wieder rauszukriegen!

Die Käfige durften zwei Tage in strahlendem Sonnenschein trocknen, dann wurde der eine gestrichen. Das machte Andreas mit links (im wahrsten Sinne des Wortes) und Flora half ihm dabei. Den anderen hat dann Lisanne gestrichen, mehrere Wochen später…

Also: ein Käfig war fertig, Lisanne hatte auch schon einen  Kubikmeter Sägespäne, drei Kilo Heu, Futterschale, Wasserschale, Heukorb und Nagestein besorgt, und die Kaninchen waren bestellt, bei dem Züchter, von dem auch Maren ihr Tier hatte. Der wohnte auf Tromøy, dreißig Kilometer von uns entfernt. Und schon beim zweiten Versuch, zwei Tage vor Floras Geburtstag, schafften wir es, ihn anzutreffen und die Kaninchen in dem neuen Transportkäfig sicher zu uns nach Hause zu schaffen.

Die Kinder hatten jeder ein Kaninchen ausgewählt, als diese fünf Wochen alt und klein und süß waren. Flora entschied sich für ein blau-weißes Männchen und Frieder für ein braun-weißes Weibchen. Beide haben Hängeohren, einen farbigen Kopf und Rücken und einen weißen Bauch und weiße Pfoten. Das Blau ist natürlich nicht wirklich blau, sondern ein wunderschönes Silbergrau. Drei Wochen später, beim Abholen, waren die Kleinen schon gar nicht mehr so klein, obwohl es eigentlich Zwergwidder sind. Und sie wachsen weiter! Ein Kaninchen ist erst nach sechs Monaten ausgewachsen…

Die Namensfrage für die Kaninchen ist auch Anfang August noch nicht geklärt, es bleibt wohl bei „Floras Kaninchen“ und „Frieders Kaninchen“, bzw. „Sie“ und „Er“.

Frieder hatte nach dem ersten Treffen mit den Kaninchen vorgeschlagen, seins „Flitzi“ zu nennen. Lisanne war mit ihrer zustimmenden Begeisterung etwas zögerlich, aber im Nachhinein war diese Wahl wohl das Passendste, was es für diese Kaninchendame gibt. Sie ist superschnell, neugierig, schreckhaft und verfressen. Wenn jemand mit einer kleinen Kaninchennascherei am Käfig auftaucht, ist sie sofort da, schnuppert kurz und frisst in rasendem Tempo los, egal, was angeboten wird. Floras Kaninchen dagegen kommt gemessenen Schrittes, schnuppert, geht zur Seite, schnuppert noch einmal, versucht, das Blatt mit dem Maul zu fassen, schnuppert, und frisst ein wenig, falls die junge Dame ihm etwas übrig gelassen hat. Es mag auch neue Sachen nicht so gerne und wartet lieber, bis etwas Bekanntes zu fressen kommt, am liebsten Vogelbeerbaumblätter.

Am meisten bekümmert uns, dass sich diese zwei so niedlichen Kaninchen so ungern (also eigentlich überhaupt nicht) streicheln lassen. Auf den Arm genommen zu werden, finden sie äußerst doof und zeigen das auch. Tränen bei Flora, Gleichgültigkeit bei Frieder und Wut bei Lisanne! Was nun? Wir wissen es nicht. Sollen wir sie trotzdem rausnehmen, damit sie sich daran gewöhnen? Oder langsam mit Leckerbissen an uns gewöhnen, bis sie von selbst kommen? Und wenn sie niemals kommen? Und wie können wir sie dann rausholen, wenn sie in den Draußenkäfig, an die Leine oder zum Tierarzt sollen? Ab und an muss man ja auch mal saubermachen….

Fragen über Fragen, es bleibt spannend. Vor allem, weil wir ja ein Pärchen haben. Natürlich wollen wir keine Kaninchenkinder, aus den verschiedensten Gründen. Allerdings hat Lisanne erst nach dem Preis für das Kastrieren gefragt, als wir die Tiere schon hatten. Es ist dreimal so teuer wie das Kaninchen selber. Das ist sicher gerechtfertigt, denn das Kaninchen bekommt eine Vollnarkose, Medizin und Vor- und Nachbetreuung. Wir haben lange gegrübelt, ob wir das wirklich machen oder ein Kaninchen zurückgeben oder beide einzeln halten oder irgendetwas anderes. Aber wer eine Weile vor dem Käfig gestanden und zugesehen hat, wie die Beiden sich gegenseitig ablecken, oder lang ausgestreckt, aber eng aneinander gekuschelt schlafen, wie sie übereinander springen und einträchtig an der Futterschale sitzen, der weiß, wie die Entscheidung ausgefallen ist.

Andreas und Flora haben einen kleinen Gang gebaut, der die beiden Käfige verbindet, und so haben wir, also die Hasen, jetzt einen Ruhekäfig und einen Futter- und Klokäfig.

Und alle hoffen, dass das Abenteuer Tierarzt gut ausgeht. Das ist im August dran, nachdem das Kaninchen groß genug (mit etwa drei bis vier Monaten) und bevor es geschlechtsreif ist.

 

Meine Blümchen haben Durst

Wir hatten wunderbares Wetter im Juni und Juli. Aus Deutschland kamen laufend Klagen über graue und kalte Tage, hier gab es Sonne und blauen Himmel. Wir waren froh über jeden Tropfen Regen. Merkwürdigerweise war es trotz der vielen Sonne ziemlich kühl, immer so zwischen 17 und 20 Grad, und die Norweger beschwerten sich, weil es fünf Grad wärmer sein müsste.

Dieses eigentlich schöne  Wetter ließ unsere Pflanzen aber nur mäßig wachsen. Die Möhren waren nach zwei Monaten immer noch bleistiftdünn, der Mangold brachte es auf einen Zentimeter Höhe und der Pflücksalat war immerhin so groß, dass wir den Hasen ein paar Blättchen spendieren konnten. Schließlich haben wir klein beigegeben und angefangen zu gießen- und siehe da, es wächst!

 

Im Juli waren endlich auch die ersten Kirschen reif: dicke, dunkelrote Süßkirschen. Als wir anfingen, sie zu essen, waren sie nur hellrot, aber zum Glück gab es so viele, dass wir nicht schnell genug essen konnten und im Laufe der Zeit auch reife Kirschen pflückten. Schneller als die Vögel waren wir auch!

Der riesige Kirschbaum vor unserer Terrasse hat leider gar keine richtigen Kirschen. Er trägt massenhaft kleine Kirschlein mit großem Stein, die ein seltsam glasiges Rot haben und leicht bitter schmecken – so ähnlich wie Wildkirschen. Auf jeden Fall sieht der Baum wunderschön aus, und wir überlegen fieberhaft, wie wir die Schönheit mit wohlschmeckenden Kirschen verknüpfen können.

Außer diesen zwei Bäumen haben wir noch sieben weitere Kirschbäume verschiedener Größe, die alle ganz schwarze, ziemlich kleine und sehr saftige Kirschen von der wilden Art tragen. Diese Sorte schmeckt zwar auch ein bisschen herb, aber sehr aromatisch, und eignet sich wunderbar für Kirschsuppe. Vielleicht wird sie unser Ersatz für die deutschen Sauerkirschen, die wir hier noch nicht gefunden haben.

Der im letzten Bericht erwähnte Rhabarber hat nur noch zwei Blätter, aber die sind dafür schon so groß wie Untertassen. Lisanne hofft immer noch, dass die Pflanze sich weiter angewöhnt und uns im nächsten Frühjahr zu vielen saftigen Rhabarberkuchen verhilft.

Die erste Zucchinipflanze hat zwei Minizucchinis produziert. Kürbisse gibt es dagegen fünf, allerdings nicht größer als Tischtennisbälle. Wir hoffen und warten und gießen….

Natürlich war im Juli auch Erdbeer- und Blaubeerzeit. Wir hatten ein paar Kostproben davon im Garten, was jeden Gartenspaziergang zu einem kulinarischen Vergnügen werden ließ: hier ein paar Kirschen, dort ein paar Erdbeeren, noch ein paar schwarze Kirschen, ein Salatblättchen und eine Handvoll Blaubeeren – und dann ein neues T-Shirt anziehen, nach dem Händewaschen.

Zusätzlich zu unseren eigenen Erdbeeren hatte Felix mehrere Pflanzen auf dem Brachland neben unserem Grundstück entdeckt. Er fragte die Nachbarin, ob er dort etwas pflücken dürfte. Sie lachte und meinte, dass dort nichts wäre, aber Felix könnte gerne alles nehmen, was er findet. Bei der ersten Pflückrunde waren es sechs Kilo, bei der zweiten vier, die wir mit großem Behagen verspeist haben.

Zusätzlich bot uns eine andere Nachbarin an, von ihren Johannis- und Himbeeren zu nehmen, weil sie es nicht schaffte, alles zu verarbeiten. Was für ein Paradies!

Damit das auch in den kommenden Jahren so bleibt, hat Andreas inzwischen viele neue Beerensträucher auf unserem Grundstück gepflanzt. Wenn die alle in ein paar Jahren Früchte tragen, können wir eine Marmeladenfabrik eröffnen. Es sind so viele, dass Andreas sich nicht mehr erinnern konnte, wo er sie überall eingesetzt hat, aber dieses Problem erledigt sich natürlich mit wachsender Pflanzengröße von alleine.  

Kultur

Mit dem Wachsen der Sprachkenntnisse wächst auch unsere Teilnahme am norwegischen Kulturleben. Lisanne hatte sich schon im März in ein norwegisches Theaterstück getraut, das im Sørland spielt und neben Beziehungsproblemen vor allem die Freuden des Bootserwerbs und -besitzes erläutert. Von den vier Schauspielern sprachen zwei in etwa so, wie die anderen Leute hier und waren damit durchaus hin und wieder zu verstehen. Die anderen beiden sprachen leider im Vestlandsdialekt. Lisanne fand es ziemlich dumm, im Theater zu sitzen und nicht zu wissen, worüber die anderen Zuschauer lachen.

Zum Glück gab es auch noch etwas zu sehen, vor allem, wie die Schauspieler auf der Bühne Boot fuhren: Der Mann hatte ein etwa A4-Blatt großes Spielzeugboot in den Händen, die Frau hielt sich an ihm fest und dann ging es los: die Wellen hinauf und hinunter, schräg in die Kurve und noch etwas schneller... Plötzlich begann es zu regnen. Schnell, Regenjacken und Hüte anziehen!

Am allerschönsten aber war der Schluss, als der junge Schriftsteller und Ehemann strahlend und erleichtert nach Hause kommt: ”Hurra, ich habe es getan! Ich fühle mich so frei, so froh. Endlich kann ich wieder schreiben! Ich habe das Boot verkauft.” Und seine Frau ist zum ersten Mal seit langem wieder in ihn verliebt.

In jeder Stadt gibt es einen aktiven Verein der Musikfreunde und einen der Theaterfreunde. Die sorgen dafür, dass viele spannende Produktionen direkt vor Ort gespielt werden. Das Theater aus Kristiansand kommt mit seinen Stücken regelmäßig nach Grimstad. Das Riksteater (Theater des Königreichs Norwegen) hat einen extra für Reiseaufführungen eingerichteten Buslaster, der Bühnendekoration, Requisiten, Kostüme und Schauspieler transportiert.

Und wenn man gute Freunde hat, bekommt man sogar Karten für die begehrtesten Stücke: Eva hatte noch drei Karten für die Westside Story für uns übrig. Mit acht Musikern und 16 jungen Schauspielern bereist das Riksteater  ganz Norwegen, einen Abend waren sie in Grimstad, um vor ausverkauftem Saale zu spielen. Sogar die (breiten) Treppen waren voll besetzt – und Treppenkarten sind nicht billiger als Sitzplätze!

Es war erstaunlich, wie gut acht Musiker ein ganzes Orchester ersetzen können. Die Umsetzung der Geschichte war modern und gnadenlos, schmerzhaft gut sozusagen. Allerdings war es für uns mal wieder höchst verwirrend, wenn die bekannten Melodien mit falschem Text erklangen – es wurde auf Norwegisch gesungen. Hätten wir den genauen deutschen oder englischen Text gekannt, wäre es vielleicht noch leichter gewesen, aber deutsche und englische Textfragmente, die sich mit einer Norwegisch gesungenen und nur teilweise zu verstehenden Variante vermischten, das war schon abenteuerlich.

Auch die Freunde der klassischen Musik kommen hier im Sørlandet in den Genuss eines reichhaltigen und preiswerten Angebots. Die besten Musiker Norwegens reisen mit Konzertangeboten durch das Land, die lokalen Orchester bekommen Gelegenheit, aufzutreten, und natürlich gibt es immer wieder Konzerte mit ausländischen Starmusikern.

Es gibt viele schöne Stellen, um diese Musik zu hören: die gemütlichen Holzkirchen in der Gegend, den modernen Rathaussaal in Grimstad oder den feudalen (und fast original eingerichteten) in Arendal, drei Säle im Kulturhaus in Grimstad….

Im Sommer wird es dann noch kulturvoller im Süden Norwegens. Es gibt Angebote aller Art: Theater, Musik, Tanz, Ausstellungen, Zaubershows. Lisanne und ihre Mutter sahen „Antigone“ von Sophokles im Steinbruch in der Fjæreheia. Sie mussten das Auto auf dem Parkplatz an der Kirche stehen lassen, von dort war es noch ein Stückchen zu Fuß. Das „Stückchen“ entpuppte sich als fünfzehnminütige Wanderung, bergauf, bergab, an einer Stromverteilungszentrale vorbei und dann mitten durch die Wildnis. Zum Glück waren auch andere Kulturhungrige unterwegs, sonst wären die beiden umgekehrt im sicheren Glauben, sich verirrt zu haben. Aber da war es schon! Die Vorstellung im Amphitheater begann abends um halb elf, die Zuschauer saßen in der beginnenden Dämmerung im Halbrund vor einer riesigen roten Felswand, von deren Mitte eine endlose Treppe hinunter führte, genau auf den  Eingangstunnel zu. Auf dieser Linie spielte sich das ganze Stück ab, begleitet von einem Saxofon, zwei Sängerinnen und zwei Percussionisten. Das Stück wurde auf Nynorsk gegeben, doch zu Lisannes großem Erstaunen konnte sie ganz viel davon verstehen. Das Drama ist faszinierend aktuell in seinem Widerstreit zwischen „ewigen“ Gesetzen und aktuell gültigen, zwischen Macht und Machtmissbrauch, zwischen Fanatismus, ängstlichem Schweigen und verstecktem Widerstand.

Und dann, wenn (fast) alle tot sind, geht das Licht aus und es ist dunkel. Die Zuschauer sitzen im Stockdunklen, klein wie Ameisen unter offenem Himmel vor der riesigen Wand, die im Dunkeln lauert. Es war ein sehr beeindruckendes Erlebnis und Lisanne freut sich jetzt schon auf die Vorstellung im nächsten Jahr.

Etwas weniger tiefschürfend, aber sehr vergnüglich, war dagegen unser Ausflug mit den Kindern zu „Kapitän Säbelzahn“. Die Geschichte selber ist nicht so bedeutsam, aber die Show war den Besuch wert. „Kapitän Säbelzahn“ wird im Tierpark in Kristiansand gespielt, auf offener Bühne, an der ein echtes Seeräuberschiff anlegt. Die Vorstellung beginnt um 23 Uhr. Vorher kann man, wenn man rechtzeitig genug kommt, noch etwas essen und vor allem die richtige Ausrüstung erwerben: Kapitän-Säbelzahn-Mützen und -Umhänge, jede Art Piratenbekleidung und natürlich die unvermeidlichen Säbel, Degen, Pistolen und Messer, zum Teil mit bunt blinkendem Innenleben. Für die Mädchen gab es neben Piratinnenkostümen auch rosa karierte Kleidchen, Taschen und Feenhüte, alles Markenzeichen der weiblichen positiven Hauptfigur Sunniva. Frieder konnte nicht widerstehen und erwarb von seinem Taschengeld einen Degen, mit dem er dann auf dem Weg zum Theater heiße Kämpfe ausfechten musste.

Wir saßen ganz oben in der vorletzten Reihe, etwa fünfzehn bis zwanzig Meter über der Bühnenebene. Es gab nur einfache Holzstufen, keine Sitze, keine Geländer, keine Lehne außer den Füßen des Hintermanns. Und das Theater war brechend voll! Am meisten wunderten wir uns, dass so viele Kleinkinder mit dabei waren, viele kaum älter als ein oder zwei Jahre.

Von unserem hohen Sitz hatten wir einen wunderbaren Ausblick - auf die dunkle Masse der Leuchtsäbel schwenkenden Zuschauer ebenso wie auf die Bühne und das Seeräuberschiff  „Schwarze Dame“, das lautlos über den See ans Ufer glitt…

Wie in allen norwegischen Kulturschätzen wurde viel gesungen, das Ganze war eher ein Musical. Allerdings waren die Seeräuber sehr schlecht zu verstehen, wahrscheinlich hatten sie keine Zähne mehr, wegen Skorbut, Schlägereien und ähnlichem.

Zur Freude aller Kinder gingen auch einige Bösewichter über die Planke, geradewegs in den See hinein. Unsere Kinder waren besonders von dem Hai begeistert, der ab und zu aus dem Wasser hinter der Bühne auftauchte und sein riesiges Maul aufsperrte, vorzugsweise natürlich, um Piraten zu Tode zu erschrecken.

Das Spektakel ging bis früh um halb eins. Danach gab es eine Völkerwanderung zum Parkplatz, einen kleinen Stau, den wir nicht miterlebten, weil Flora in der Schlange vorm Damenklo lange genug warten musste und eine freie Straße in Richtung Grimstad. Die Kinder waren aufgeregt und begeistert, aber nach einer Viertelstunde wurde es still im Auto. Um zwei lagen alle zufrieden und fest schlafend in ihren Betten.

 

Sommer in Grimstad

Andreas wollte schon immer dort wohnen, wo andere Urlaub machen. Das hat er mit Grimstad zweifelsfrei erreicht. Seit Ende Juni ist die Stadt rammelvoll, man kriegt kaum noch einen Parkplatz, die Fußgängerzone wimmelt von Touristen und die Luxusboote stapeln sich in Dreierreihen im Hafen. Außerdem muss man jetzt beim Autofahren tatsächlich aufpassen und manchmal sogar in einer Kolonne mit mehr als drei Fahrzeugen fahren.

Dafür gibt es fast täglich irgendwelche „Events“, also Erlebnisangebote: jede Menge Kultur, Shopping und ein bisschen Natur. Ein kleiner Auszug aus dem Grimstader Sommerprogramm sieht so aus:

23.Juni

Sankt Hans Feier

25.Juni, 9.&23.Juli

Nachtoffene Stadt: die Geschäfte haben bis 23 Uhr geöffnet

1. bis 3.Juli

„Ein Volksfeind“ von Ibsen (Lesung auf dem Markt)

3. bis 10.Juli

Tanzfestival mit Kurswoche

22.Juli

Konzert mit dem Neuen Philharmonischen Orchester Köln

4. bis 8. August

Genießerfestival am Hafen

12. bis 15.August

Ibsen und Hamsun Tage 2004. Dabei wird unter anderem „Terje Wigen“ auf einer der Inseln vor Grimstad vorgetragen.

Natürlich nehmen wir nicht an allen Ereignissen teil, aber ab und an ist es doch schön, diese Möglichkeiten zu haben. Zur Sankt Hans Feier (auf Deutsch hätte man Mittsommer dazu gesagt) wollten wir sehr gerne gehen, unsere Freunde, Kollegen und Nachbarn hatten uns reichlich vorgeschwärmt: von bunt geschmückten Booten, lodernden Lagerfeuern, großen Festen mit Gesang, Spielen und Tanz. Allerdings fiel dieses Fest auf einen der wenigen Regentage und damit buchstäblich ins Wasser. Es goss in Strömen. In der Zeitung konnte man später ein paar Ausdauernde sehen, die sich trotzdem am Hafen eingefunden hatten, aber dazu gehörten wir nicht.

Dafür beteiligten wir uns mit Begeisterung am Nightshopping. Einmal gönnten sich Andreas und Lisanne einen Ausflug zu zweit, und ein weiteres Mal war Lisanne mit ihrer Kusine unterwegs. An diesem Abend war das erklärte Ziel, etwas Schönes zum Anziehen zu erwerben. Die Bedingungen waren fabelhaft: die Läden hatten gerade mit dem Sommerschlussverkauf begonnen, der Abend war lang und es nieselte leicht, was die Besucherzahl in Grenzen hielt. Hier gab es ein hübsches T-Shirt und dort schöne Unterwäsche, und dann entdeckten die beiden abenteuerlustigen Damen einen Ausverkauf wegen Geschäftsauflösung. Lange wurde probiert und gewählt und überlegt. Als Lisanne schließlich mit drei Kleidungsstücken an der Kasse stand, sagte die Verkäuferin: „Wir machen einen Tütenverkauf. Wollen Sie nicht noch etwas auswählen? Ihre Tüte ist ja noch ganz leer.“ Lisanne musste sich das zweimal erklären lassen, bevor sie es glaubte. Zusätzlich zu dem, was sie schon ausgewählt hatten, konnten sie noch so viel mitnehmen, wie nur irgendwie in die Plastiktüte hineinging. Und das auch noch kostenlos, denn die 200 Kronen (25 Euro), die so eine Tüte kostete, hätten sie ja sowieso für die zuerst ausgewählten Sachen bezahlt. Das war vielleicht ein Spaß! Erst suchten sie aus, was sie gebrauchen konnte, dann, was ihnen Vergnügen bereitete, und zum Schluss noch ein paar Mitbringsel, unter anderem eine Teddy-Plüschhose in XXL, in die Lisanne und ihre Kusine zusammen reinpassten. 

Zusätzlich zu allen diesen Aktivitäten, die es in ähnlicher Art in jedem der Küstenorte hier gibt, ist in diesem Jahr im ganzen Sørlandet Piratensommer. Das bedeutet, dass es massenhaft Piratenfeste und –ausflüge für Kinder gibt und dass man an knapp fünfzig verschiedenen Stellen im Sørlandet jeweils eine Goldmünze aus echter Plaste sammeln kann. Wer die meisten Münzen hat, gewinnt. Unter den Preisen ist ein Jahresverbrauch an Eis, und der hat es Felix angetan. Also haben wir angefangen, Münzen zu sammeln. Zuerst die in Grimstad, dann die, die weiter weg liegen. Leider liegen manche ganz schön weit weg, außerdem muss man zu den passenden Öffnungszeiten dort erscheinen, also weder nach 17 Uhr noch am Wochenende. Nun hoffen die Kinder, dass die nächsten Besucher „zufällig“ für sie an ein paar der restlichen Sammelstellen vorbeikommen.

Für uns selbst hat es sich durchaus gelohnt, auf Schatzsuche zu gehen. Wir haben auf diese Weise einen traumhaft schönen Zeltplatz in der Nähe von Lillesand gefunden, abenteuerliche Achterbahnfahrten durch unglaublich faszinierende Küstenlandschaften unternommen und die Geschäfte von Kristiansand entdeckt.

Am 31. August geht die Schatzsuche zu Ende. Es bleibt bis zum Schluss spannend, wie viele Münzen wir finden werden.

Ein Unglück kommt selten allein

Ende Juni begann der Besucherstrom aus Deutschland zu uns zu fließen. Zuerst kam eine liebe Freundin von ÖkoLeA – mit einem röchelnden Auto, das es mit letzter Kraft auf unseren Hof geschafft hatte und dort wie tot liegen blieb. Nachdem Lisanne die erste Abschleppaktion ihres Lebens hinter sich hatte, fehlte dem kleinen Ford der Freundin auch noch die halbe Stoßstange. In der Werkstatt besah sich der Meister den Schaden: drei Zündkerzen waren völlig eingerostet und mussten herausgeschnitten werden. Er bot uns auch gleich einen Termin für Mitte August an, vorher war nichts zu machen. Unsere Freunde wollten allerdings schon Mitte Juli wieder zurückfahren, die zweite Werkstatt in Grimstad war auch ausgebucht, was nun? Zum Glück kannte der Meister eine andere Werkstatt in Arendal. Das Auto wurde auf einen Anhänger geladen, und ein paar Tage später war alles wieder gut, auch die Stoßstange hing wieder an Ort und Stelle, sie war mit Klebeband befestigt.

Der nächste Besuch kam mit dem Flugzeug, pünktlich, problemlos und mit Kleinkind. Wir hatten vergessen, wie anstrengend das Leben mit Kindern in diesem Alter ist! Flora meinte nach einer Woche, dass sie froh ist, keine Babyschwester zu haben und Lisanne verlor spätestens dann die Nerven, als der kleine Feriengast hingebungsvoll die gerade frisch geputzten Fensterscheiben ableckte.

Natürlich wollen wir nicht verschweigen, dass so ein kleines Kind auch ausgesprochen süß ist, mehr essen kann als Flora und wir alle viel Spaß miteinander hatten. Schließlich standen wir am Bus und winkten, aber der für den nächsten Tag erwartete Anruf des guten Ankommens kam nicht.

Dafür meldeten sich Lisannes Eltern, die sich gerade mit Felix auf einer Tour zum Prekestolen bei Stavanger befanden. Sie berichteten, dass ihnen die Kupplung durchgeschmort sei und Felix schon mal mit dem Zug nach Hause kommt, weil keiner weiß, wann das Auto repariert wird, denn es war Wochenende und, wie hier üblich, alles geschlossen.

Felix kam und dann endlich auch der Anruf aus Berlin: „Wir sind gut angekommen - allerdings mit zwei Tagen Verspätung.“ Das Reisebüro hatte ein falsches Datum auf die Tickets gedruckt und schneller waren neue Tickets nicht zu kriegen.

Als nächstes kam Lisannes alte Schulfreundin Christine mit ihrer Familie. Sie hatten schon die ganze Runde von Schweden über Oslo, Hardangervidda, Prekestolen und Stavanger hinter sich und einen Strafzettel aus Oslo für falsches Parken. Wir machten uns einen schönen Tag mit Stadtbummel, Gartenschau und Baden, danach fuhren sie zurück nach Deutschland. Von dort kam dann folgende mail: „Liebe Lisanne, du kannst mich übrigens in die Hitliste der Pechvögel aufnehmen, denn auf dem Rückweg hat jemand in unser Auto eingebrochen und meinen Ausweis, Führerschein, EC- und Kreditkarte geklaut. Und den Fotoapparat mit den Bildern vom Prekestolen.”

Lisanne war schon geneigt zu glauben, dass es gefährlich ist, bei uns Urlaub zu machen, aber wir hatten ja noch mehr Besuch, und der kam heile hin und zurück. Außerdem haben alle Besucher gesagt, dass sie sich gut erholt haben, was man übrigens deutlich sehen konnte, und dass sie gerne wieder kommen.

Aber dieses Kapitel ist noch nicht zu Ende. Zum Schluss waren wir selber die Unglücksraben! Andreas und Lisanne waren auf dem Weg nach Marivold zum Angeln, nachdem sie in Hesnes in der Gärtnerei lila Blumenkohl und eine Menge seltsam geformter und gefärbter Tomaten erstanden hatten. Der Weg nach Marivold ist so etwas Ähnliches wie eine einspurige Achterbahn. Im Winter hatten wir damit kein Problem, aber jetzt waren wir plötzlich zwischen lauter Autos eingekeilt, die uns entgegen kamen oder sich hinter uns stauten. An einer besonders vollen Ausweichstelle versuchte Andreas, weit nach vorne zu fahren, damit alle hinter ihm auch noch vorbeikamen. Leider war der Weg zu schmal und plötzlich hing Lisanne mit der Hälfte des Autos über einer abschüssigen Wiese, während die andere Seite auf der Straße lag und der Unterboden auf der Asphaltkante. Aber alles ging gut. Die anderen Autofahrer zogen und schoben uns rückwärts wieder auf die Straße, Auto und Insassen kamen mit einem Schrecken davon, und der Stau löste sich in erstaunlich kurzer Zeit wieder auf.

Ende gut, alles gut

Auch wenn der Sommer noch nicht zu Ende ist, noch viel mehr Besuch kommt und bald die Schule wieder anfängt – hier sind zwölf Seiten voll.

Es war gar kein Platz, um von den vielen schönen Badestellen zu erzählen, es ist noch geheim, wie viele Fische Andreas gefangen hat und ob wir nun endlich Boot gefahren sind. Freut Euch auf den nächsten Bericht!

 

-ENDE-

 

 

 

 

 



[1] Nächstes Jahr haben auch wir Stühle! Die Unterhaltungen bekommen ein ganz eigenes Gepräge, wenn man auf einer Decke liegt, während die Gesprächspartner alle in Campingstühlen thronen.