Alles hat ein Ende – auch der Sommer

 

Während Lisanne Anfang September diesen Bericht schreibt, ist der Herbst nach Norwegen gekommen. Zwei Wochen lang hat es in Strömen geregnet, die Temperaturen sind von 25 auf 17 Grad gesunken, die Kinder gehen in die Schule, die Brombeeren werden reif und Frieder setzt wieder eine Mütze auf.

Doch dieser Bericht soll vom wunderschönen Rest des Sommers erzählen, von Fischen, Elchen, Blaubeeren, Booten und Ausflügen.

 

Skit[1] fiske (Petri heil)

Der viele liebe Besuch brachte Andreas endlich wieder Gelegenheit, Angeln zu gehen. Schließlich musste man die Gäste ja zu einem Strandspaziergang mit Blick auf den Schärengürtel verlocken; was lag da näher, als nach Homborsund zu fahren und die Angel mitzunehmen?

Da Andreas jeden gefangenen Fisch im Kalender vermerkt, ist hier leider kein Platz für Anglerlatein. Wir haben ein großes Plakat, auf dem eine Menge essbarer Meeresfische zu sehen sind. Dort steht, dass Seelachse und Dorsche sechzig Zentimeter lang werden und bis zu sechs Kilo wiegen können. Auch eine ausgewachsene Makrele soll mehr als einen halben Meter lang und bis zu drei Kilo schwer sein. Diese Werte können wir nicht bestätigen.

Unser gewichtsmäßig erfolgreichster Fischzug bestand aus einem Minidorsch (300 Gramm) und drei Seelachsen, von denen jeder zwischen einem und anderthalb Kilo wog. Allerdings waren diese paar Fischlein mehr, als wir mit vier Erwachsenen und drei Kindern an einem Abend essen konnten. Wozu also einen Riesendorsch fangen, den wir sowieso nicht schaffen?

Die Fischbilanz für die gesamten Sommerferien enthält 27 (Siebenundzwanzig!) Fische, von denen die meisten kleine Makrelen und Seelachse in oben beschriebener Größenordnung waren. Außerdem hat Andreas auf Marivold noch einen ganz merkwürdigen hellgrünen Fisch mit goldenen Schuppenrändern gefangen, den unser Fischbuch als „Berggylt“ bezeichnet und empfiehlt, ihn zu Fischsuppe zu verarbeiten. Dieser Aufforderung sind wir gefolgt, und Andreas meint immer noch, dass er (der Fisch) bzw. sie (die Suppe) gut geschmeckt haben.

Ein Grund dafür, dass die Zahl der gefangenen Fische sich so erheblich steigerte, ist darin zu finden, dass sich auch die Zahl der verfügbaren Angeln deutlich vergrößerte. Angefangen haben wir den Sommer mit jener einen, zu Weihnachten verschenkten und heiß geliebten Teleskopangel. Dann kam der erste Besuch, kaufte für seine Rundreise eine weitere Teleskopangel und überließ sie uns vor der Heimreise. Danach besuchte Andreas einen Konkursverkauf (da wurden keine Konkurse verkauft, sondern aller möglicher Krimskrams, den das konkursgegangene Geschäft vorher hätte verkaufen sollen). Von dort kam er mit einer hübschen blauen zweiteiligen Angel und einer Menge Angelzubehör zurück, und von einem ganz gewöhnlichen Ausflug in die Stadt mit zwei Leinen mit mehreren Haken, die auf ein Stück Plaste aufgewickelt sind.

Diese auf Norwegisch „harpa“ genannten Fischereigeräte benutzt man vom Boot aus: Schnur abwickeln und sinken lassen, ab und zu leicht dran ziehen oder mit dem Boot langsam rumtuckern und warten. Angeblich kann man auf diese Weise fünf, sechs Fische gleichzeitig fangen. Felix hat es einmal mit fünfzehn Haken an einer Schnur versucht und in zwei Stunden auf eine Makrele gebracht. Eine ist schließlich besser als keine, und Lisanne hatte mit der anderen Leine und nur drei Haken sogar auch noch eine gefangen!

Aber das war im August, laut Aussage der einheimischen Experten beginnt die richtige Makrelensaison erst Mitte September. Da gibt es so viele Makrelen auf einmal, dass man sie eigentlich mit der Hand fangen könnte oder einem Kescher. Hoffentlich bleiben die Boote dann nicht alle stecken!

 

Schiff ahoi

Der letzte Abschnitt ließ es vermuten: wir sind Boot gefahren! Zuerst machte Lisanne eine Tour mit dem Zweimaster „Solrik“ (zu Deutsch: Sonnenreich), der die Teilnehmer des Norwegischunterrichts für Ausländer zwei Stunden im Schärengürtel herumfuhr. Allerdings mit Motor und ohne Segel, der Kapitän meinte, dass es zu gefährlich war, bei so viel Wind mit Leuten zu segeln, die zum Großteil noch niemals vorher ein Bootsdeck unter den Füßen hatten.

Diese Art von Bootsausflug war im Sommer mehrfach im Angebot, und da Lisanne sie für gut befunden hatte, machte der Besuch, meist mit unseren Kindern in Folge, regen Gebrauch davon.

Ende Juli brachte Andreas eine interessante Nachricht mit nach Hause: sein Kollege Jan war aus dem Urlaub zurück, hatte den Motor seines Bootes reparieren lassen und wir durften damit herumfahren.

Zuerst nahm Andreas den gerade anwesenden Besuch zu einer Sonnenaufgangsangeltour mit, dann musste Lisanne dran glauben. An einem schönen sonnigen Sonntagnachmittag fuhren wir mit unserem Auto bis zum Hafen in Homborsund und bestiegen den Kahn: ein etwa vier Meter langes, ganz altes und wenig gepflegtes  Holzboot mit zwei Paar Rudern und Außenbordmotor. Erst mal schöpften wir das Wasser vom letzten Regen aus, später das, was durch die zwei, drei undichten Stellen drang. Dann tuckerten wir über Motorbootwellen und Strudel durch die Meerenge bis zu einer ziemlich großen offenen Stelle kurz vor den äußeren Schäreninseln. Da es sehr windig war, schwankte das Boot heftig, und Lisanne entdeckte an dieser Stelle, dass sie zwar am, aber nicht auf dem Meer (Ostsee) aufgewachsen ist und nicht das geringste Vertrauen zu dem breiten flachen Wasserfahrzeug, den Wetterverhältnissen, dem Ort oder Andreas Fahrkünsten hatte. Schließlich erbarmte sich Andreas und beförderte das Boot von der ersten Angelstelle direkt neben der zentralen Fahrrinne in ein etwas ruhigeres Fahrwasser.

Trotz der geringen Beifallsstürme war Andreas Begeisterung ungebrochen. Als der Motor von Jans Boot mal wieder den Geist aufgegeben hatte (zum Glück, als Jan selbst unterwegs war), charterte Andreas ein Motorboot bei der Touristeninformation – zum Sonderpreis, weil er es von Ladenschluss bis zur Ladenöffnung am nächsten Tag haben wollte, für eine Sonnenaufgangstour natürlich.

Von den vielen vorsommerlichen Mitfahrangeboten unserer Nachbarn und Freunde hat sich bis jetzt noch keins in die Tat umsetzen lassen, dafür ist Andreas aber einmal von dem Freund eines Kollegen zu einem erfolglosen Makrelenfischzug mitgenommen worden.

Und er hat sein Traumboot entdeckt, ein gebrauchtes rotes Motorboot für siebenundzwanzigtausendfünfhundert Kronen, die wir aber leider gerade nicht aufbringen können. Ganz zu schweigen davon, dass wir zu dem Boot noch einen Anhänger, einen Bootsliegeplatz, Benzinkanister, Seile, Bojen, Anker, mindestens drei Schwimmwesten und wahrscheinlich massenhaft weitere Angeln anschaffen müssten.

An dieser Stelle sei uns die Bemerkung erlaubt, dass es faszinierend und erschreckend ist, wie sehr Neuanschaffungen dazu führen, weitere Neuanschaffungen zu tätigen. Da sind wir also plötzlich Hausbesitzer, wunderbar. Aber genügt das? Weit gefehlt!

Das Haus hat eine Terrasse. Wäre es nicht schön, auf dieser Terrasse sitzen zu können? Also werden Stühle und ein Tisch angeschafft. Die Stühle sind natürlich viel bequemer mit Sitzkissen, und eine Wachstuchdecke für den Tisch ist auch sehr nützlich. Die Terrasse hat Platz für Blumenkästen, die erst einmal gekauft werden müssen (in diesem Fall in Deutschland, damit sie zu den schon vorhandenen passen). In die Blumenkästen kommt Erde, dort hinein Samen oder Pflanzen, die Erde muss gelockert, die Pflanzen gegossen werden – und das Gartencenter freut sich über die unerwartete Umsatzsteigerung aufgrund der dazu nötigen Gerätschaften.

Pack die Badehose ein

Mit den Booten waren wir immerhin auf dem Meer, aber noch lange nicht im Meer. Dabei war doch Sommer und beste Badezeit! Doch mit dem Baden ist das hier so eine Sache. Die schönsten Badestellen und Erlebnisse gibt es angeblich im Schärengürtel. Dazu können wir leider nichts sagen, weil wir niemals an so einem Inselchen angehalten und gebadet haben. Insgesamt war das Meer auch nicht besonders einladend. Den ganzen Juni und Juli hatten wir auflandigen Wind und damit Unmengen von Quallen, die sich in der Nähe des Ufers sammelten. Und wie jeder weiß, gibt es in der Nordsee außer den harmlosen „Glasquallen“ auch die unangenehmen Feuerquallen. Vom Schiff sehen sie aus wie verfaulte Äpfel. Von nahem sind es rötlich-braune Schleimklumpen mit meterlangen hauchdünnen Tentakeln. Sie können größer als ein großer Teller werden und fressen die gewöhnlichen Quallen.

Dazu kommt, dass es an der norwegischen „Strandlinie“ in unserer Gegend nicht unbedingt einfach ist, wieder aus dem Wasser herauszukommen. Hinein kommt man natürlich immer und ganz einfach, sogar beim Angelauswerfen und komplett bekleidet.

Am örtlichen Badestrand konnte man zwar ewig durch flaches Meerwasser waten, aber da wir alle lieber schwimmen oder tauchen wollten, blieb uns nichts anderes übrig, als weitere Möglichkeiten zu erkunden.

Tatsächlich fanden wir eine Stelle, an der es wie an der Ostsee aussah. Mindestens einhundert Meter lang, liegt ein hübscher und gar nicht so schmaler Sandstrand direkt vor dem Strandhotel in Fevik, in dem u.a. Roald Dahl viele Sommer verbracht hat. Vor diesem Sandstrand liegt eine Bucht, die nur durch eine kleine Schäre vom offenen Meer getrennt ist – was für ein Ausblick! Leider war es an den Tagen, die wir dort am Strand verbracht haben, nicht besonders hitzig, so dass sich keiner von uns für mehr als ein kurzes Eintauchen im Meer erwärmen konnte. Dafür gab es am Rande des Strandes einen kleinen Bach, der ins Meer floss, und den Felix in Stunden geduldiger Arbeit in einen den selbst gebauten Staudamm niederreißenden breiten Strom verwandelte.

Lisanne war der Meinung, dass sie nicht jedes Mal mit dem Auto zum Baden fahren wollte, und so entdeckten wir zwei mit den Fahrrädern erreichbare äußerst verschiedene Badestellen: den Sandstrand am Rorevannet und die Felsen am Reddalskanal.

Zum Rorevannet fahren wir etwa fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad. Dort gibt es an der westlichen Spitze des Sees einen gelben grobkörnigen Kiesstrand und eine geradezu unglaubliche Aussicht auf den fast zehn Kilometer langen See und die ihn einrahmenden Felsen und Wälder. Noch dazu ist das Seewasser viel wärmer als das Meerwasser und es leben dort keine Quallen. Der See hat nur einen Nachteil: er ist das Trinkwasserreservoir von Grimstad, und es gibt sehr geteilte Meinungen darüber, ob man darin baden sollte oder nicht.

Unsere Besuche am Rorevannet wurden seltener, nachdem wir in der Zeitung gelesen hatten, dass ein kleiner Junge dort im etwa einen Meter tiefen Wasser von einem Hecht gebissen worden war. Zwar betonte der örtliche Fischer, dass Hechte niemals in so flaches Wasser schwimmen und es sich höchstens um einen jungen und dummen Babyhecht gehandelt haben kann, aber die Aussicht, den See mit Fischen zu teilen, die zwar nur halb so schwer, aber genauso groß wie Lisanne werden können, nur einmal im Monat an die Oberfläche steigen und Enten im Stück verspeisen, war dann doch etwas unbehaglich.

Außerdem hatten wir zu Felix großer Begeisterung die Badestelle am Reddalskanal entdeckt. Dieser Kanal ist in die Felsen gesprengt und verbindet das Meer mit zwei Seen, dem Landvikvannet und dem Reddalsvannet. An einer Stelle des Kanals bilden die bestimmt dreißig Meter hohen Felsenmauern eine nette kleine Bucht direkt neben der Fahrrinne. Dort ist die beliebteste Badestelle der ortsansässigen Jugend, denn in die Bucht kann man hineinspringen, wobei die Höhe am Felsen frei gewählt werden darf. Es gibt sogar eine Stelle, die auf der Höhe des Wassers liegt – da kommen nämlich alle wieder raus.

Andreas hatte großen Spaß, Felix kann jetzt Startsprünge genauso gut wie Flora, Frieder (fast) schwimmen  und Lisannes Nerven werden langsam zu Stahlseilen. Dabei sind Felix und Andreas nur von den Dreimeterfelsen gesprungen, die anderen haben sie sich für das nächste Jahr aufgehoben.

Immer noch auf der Suche nach dem idealen Badeplatz, wagten wir uns bis zum Lundesanden vor. Der liegt zehn Kilometer von Grimstad entfernt, dort, wo die Asphaltstraße aufhört und verschlungene Sandwege an privaten Zollstationen vorbeiführen und in einer kleinen heimlichen Bucht am Syndle enden. Der Strand war nicht besonders lang, aber dafür riesig breit. Die Kinder badeten mit Vergnügen und Ausdauer in dem warmen und leicht schlammigen Wasser, während Lisanne sich einen ordentlichen Sonnenbrand holte. Auch hier gab es einen kleinen Fluss, der sich diesmal quer durch den ganzen Strand schlängelte, und den Felix natürlich stauen musste. Wie groß war das Erstaunen, als dieser Fluss plötzlich über die Ufer trat und den halben Strand (oder vielleicht auch nur ein Drittel, auf jeden Fall aber den Teil, wo wir unser Lager aufgeschlagen hatten) unter Wasser setzte! Das Wasser hörte gar nicht wieder auf zu fließen, denn es kam, wie andere Strandbrüchige uns später erklärten, von einem Wehr weiter oberhalb, das seinen Abfluss genau über den Lundesanden leitet.

So bleibt der beste Badeplatz doch der, den Flora schon am Beginn des Sommers dazu erklärt hat: die felsige Badestelle auf Holmen, dem Privatgrundstück eines Kollegen von Andreas, der eine Halbinsel mit Insel am Reddalsvannet gekauft hat. Dort ist es menschenleer, das Wasser ist klar und nicht zu kalt und die Landschaft verschwiegen und norwegisch: eine kleine Bucht mit Felsen, Schilf und Wald – die reinste Oase, nur zwanzig Auto- plus fünfzehn Fußwegminuten von Grimstad entfernt.

Badetraum in Hovden

An einem schönen Augustsonntag probierten wir eine weitere Badestelle aus: das Badeland in Hovden. Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich hierbei um eine Innenraumbadestelle, auch Schwimmhalle oder Erlebnisbad genannt. Hovden liegt am nördlichen Ende des Setesdals und ist in etwas mehr als vier Stunden Autofahrt gut von Grimstad aus zu erreichen.

Da wir nach dem Baden noch am selben Tag nach Hause wollten, wurde die Tour genauestens geplant. Um 7 Uhr Abfahrt, 11 Uhr Ankunft, 4 Stunden baden bis 15 Uhr,  4 Stunden fahren bis 19 Uhr, plus Pausen und kleine Unwägbarkeiten.

So kam es, dass wir uns morgens um halb acht auf einer sonntäglich leeren Straße, mindestens zwanzig Kilometer von Grimstad entfernt, unausgeschlafen und bei strahlendem Sonnenschein wieder fanden. Wach wurden wir erst, als Lisanne eine Elchkuh entdeckte: friedlich weidend stand sie mit ihrem Kalb auf einer Wiese neben der Straße. Andreas hielt an, was die Tiere aber nicht im Geringsten beunruhigte. Erst als er versuchte, im Rückwärtsgang wieder etwas näher heran zu fahren, hob die Elchkuh den Kopf. Wir beschlossen daraufhin, nicht weiter beim Frühstück zu stören und setzten unsere Reise fort.

Etwa nach zwei Stunden kamen wir in Evje, einem kleinen Ort am südlichen Ende des Setesdals vorbei. Oberhalb von Evje brauchten wir dringend eine Pause und steuerten deshalb den nächsten öffentlichen Parkplatz an. Der lag direkt am Fluss und war riesengroß, mit Müllholzhäuschen, Toiletten, Grillbänken und Rasenplätzen. In den Fluss hinein führte eine Steinmauer, von der wir gebannt Stromschnellen in allen Größen bestaunten. Hinter der Mauer, wo nur wenig Wasser durchsickern konnte, lag eine wundersame Fels-Wasserlandschaft, die die Kinder in großen Sprüngen durchmaßen, von einer trockenen Stelle auf die nächste hüpfend. Felix kann natürlich viel größere Sprünge als Frieder machen, aber gemeinschaftlich kamen sie alle drei trockenen Fußes zurück.

Noch ein Stück weiter oberhalb von Evje entspringt ebendieser Fluss aus dem Byglandsfjord. Eigentlich ist es nur ein Bergsee, der dort im Tal liegt, aber da er fast das gesamte Tal ausfüllt, darf er Fjord heißen. Wir fuhren also an diesem Fjord lang,  - links das Wasser, rechts neben uns steile Berge, die ab und an mal eine etwas flachere Stelle bildeten, an der dann außer der Straße auch ein paar Häuser Platz hatten. Schließlich kreuzten wir den Fjord und hatten nun rechts das Wasser und links die Berge (und rechts neben dem Wasser natürlich immer noch Berge). Die R9, eine der Nummer nach recht bedeutsame Straße, führt von Kristiansand bis Hovden und ist in teilweise sehr abenteuerliche Abschnitte unterteilt. Dort, wo die Moderne schon Einzug gehalten hat, ist sie gut asphaltiert, breit genug für fast drei Autos, ausgeschildert und mit Markierungslinien versehen. Dort, wo gerade gebaut wird, ist sie teilweise einspurig (wer später kommt, muss warten, man sieht ja, das da Gegenverkehr ist) und besteht aus festgefahrenem Sand. In den Dörfern, die offensichtlich den Straßenbau selbst bezahlen müssen, passen zwei Autos aneinander vorbei, wenn jeder genau weiß, wie breit das eigene Fahrzeug ist, und da man höchstens fünfzig fahren darf, ist auch genug Zeit anzuhalten und den lebensmüderen Fahrer vorbeizulassen.

Irgendwann ist dann auch der Fjord zu Ende und das Tal macht einen eleganten Bogen nach rechts. Wer dachte, aha, hier sind die Berge zu Ende, wird schwer enttäuscht. Es kommen neue, noch höhere Berge, und dahinter liegen weitere neue und noch ein wenig höhere Berge und dahinter – geht es so weiter bis zum Nordkap. Das hat jedenfalls Andreas behauptet.     

Die Landschaft im oberen Ende des Tals wird von Heide, Krüppelkiefern und steinreichen Flüssen bestimmt. Wenn wir es nicht so eilig gehabt hätten, wären wir wahrscheinlich an jedem dieser Wasserspielplätze mindestens einen Tag geblieben. Immerhin gönnten wir uns noch eine zweite Pause, wieder an einem großen Parkplatz mit Stromschnelle, Sprungsteinen und merkwürdigen Löchern im Fußboden, die dadurch entstanden sind, dass das strömende Wasser immer an der selben Stelle kleine Steine auf den großen bewegt. Die kleinen Steine reiben sich dadurch auf und verschwinden, die großen bleiben mit Löchern zurück.

Widerstrebend trennten wir uns von dem schönen Platz und kamen schließlich und endlich sogar in Hovden an. Schon von weitem sieht man das Alpinskigebiet, das auf einem der Berge hinter Hovden angelegt ist. Lisanne reichte dieser Anblick bereits, um festzustellen, dass sie dort nicht, und schon gar nicht im Winter runterfahren möchte, während alle anderen zu schwärmen begannen.

Da es aber August war und kein Schnee lag, wendeten wir unsere Aufmerksamkeit wieder der Straße und dem Badeland zu. Andreas hatte versucht, eine Wegbeschreibung aus dem Internet zu bekommen, was für die Strecke von Grimstad bis Hovden wunderbar geklappt hatte. Aber in Hovden sollte die Schwimmhalle im Niemandsland liegen, jedenfalls gab es laut Karte keine Zufahrtsstraße dorthin. Die Realität war diesmal zum Glück schlauer als der Computer, Lisanne brauchte einfach nur den Werbeschildern zu folgen, und schon waren wir da.

Das vielgelobte Badeland bestand aus einem mäßig tiefen Schwimmbecken, zwei kleinen Kinderbereichen, einer erstaunlich riesigen Riesenrutsche, einer Reifenrutsche, einem Mini-Außenbecken und einer Sauna. Mit den wenigen Gästen machte alles einen beschaulichen und gemütlichen Eindruck.

Die Kinder verbrachten drei Stunden auf den Rutschen, Lisanne probierte jede nur einmal. Die Riesenrutsche war ok., aber die Reifenrutsche etwas merkwürdig. Sie hatte zwei Startplätze, danach kam ein Strudel, der die meisten Rutschwilligen erst einmal zurück transportierte. Dann musste man eine Schwelle überwinden, was bei Lisannes Gewicht und dem kleinen Reifen nur durch Aufstehen möglich war. Hinter der Schwelle ging es allerdings steil abwärts! Und dann kamen eine neue Schwelle, eine noch steilere Abfahrt und ein schmaler Tunnel. Dort wurde Lisanne hineingeschossen, in wilden Drehungen, die durch die an die Wände krachenden Füße und Ellenbogen immer neuen Schwung bekamen, bis sie endlich auf das Reifenlager am Ausgang aufprallte.

Den Kindern gefiel diese Rutsche außerordentlich, sie hatten bald genauestens heraus, wie man sich an welcher Stelle verhalten musste, um möglichst wenig anzuecken. Felix allerdings zahlte Lehrgeld: er kam mit einem Loch in der Badehose und der darunter liegenden Haut nach Hause.

Zur Entspannung gingen Lisanne und Andreas in die Sauna. Dort gab es einen Saunaraum, eine Dusche davor, ein paar Haken und sonst nichts. Keine Norweger, keine Saunaregeln, keine Sanduhr, kein Tauchbecken, keine Fußwannen und Ruhebänke – aber dafür auch kein extra Eintrittsgeld. Eine Weile standen wir unentschlossen im Vorraum neben der Dusche, dann entschieden wir uns, so in die Sauna zu gehen, wie wir das aus Deutschland kennen. Ein fataler Fehler! Während wir gemütlich im wärmenden Halbdunkel vor uns hindämmerten, klappte die äußere Tür, gleich danach die Saunatür, dann hörten wir einen zweistimmigen Schrei und ein paar norwegische „O Gott, o Gott“s, gefolgt vom Trappeln sich schnell fortbewegender Füßen samt doppeltem Türenschlagen. 

Offenbar gab es auch hier, wie überall in Norwegen, ungeschriebene Regeln, die jeder kennt, bloß wir nicht.

Lisanne flüchtete, so schnell sie konnte, zurück in ihren Badeanzug. Keinen Augenblick zu spät! Als sie gerade den zweiten Träger hochstreifte, betrat ein Pärchen den Vorraum und steuerte ohne Handtuch, aber in Badebekleidung, schnurstracks die Sauna an.

Etwa eine Stunde später verließen wir das Badeland – freiwillig und ohne Gerichtsverfahren am Hals, dafür aber hungrig wie die Wölfe.

Zum Glück hatte unten im Ort ein kleines Selbstbedienungscafe geöffnet. In unsere Decken gewickelt, sonnten wir uns auf der Terrasse, bestaunten das Panorama und verspeisten: ein Fischfilet, drei Buletten mit Erbspürree und Preiselbeermarmelade, ein Schnitzel, ein viertel gebratenes Hühnchen und ein Stück Lasagne, jeweils mit Salat und Pommes. Zum Nachtisch und aus Neugierde gab es noch eine Schüssel Rømmegrøt mit Butterklecks, Zimtzucker und Sirupwasser. Rømmegrøt ist ein puddingähnlicher Brei aus saurer Sahne und Mehl. Er schmeckte uns eigentlich ganz gut, nur die gesalzene Butter fanden wir störend.

Nudeldick und satt, mit dem letzten Fleischklops und einem halben Schnitzel in der Tasche, machten wir uns auf den Heimweg. Von diesem ist nichts weiter zu berichten, weil alle wie gebannt den Kassetten lauschten (bzw. das Fahrzeug führten). Und als Herr Phileas Fogg endlich nach 80 Tagen wieder den Reformklub betrat, rollte unser guter Wilhelm Opel mit drei mucksmäuschenstillen Kindern an Bord gerade die Einfahrt zu unserem Haus hinunter. Dank der Spenderin dieses Hörvergnügens!

Hiv o’hoi[2]

Da wir in den letzten beiden Berichten schon erklärt haben, was Piratensommer in Grimstad bedeutet, wollen wir hier nur noch von unseren Erlebnissen bei der Schatzsuche berichten. Anfang August hatten wir etwa die Hälfte der Münzen beisammen, die gab es nämlich zwischen Kristiansand und Grimstad. Alle anderen lagen weiter weg – bis nach Skien und Langesund im Osten, bis nach Hovden im Norden und bis Farsund im Westen.

Dank vieler eifriger Besucher waren die Münzen im Westen kein Problem, die Münzen aus der mittleren Bergwelt holte ein begeisterter Klosterdorfer Motorradfahrer für uns und in Hovden waren wir selber (s.o. – oder habt ihr gedacht, dass wir wirklich bloß zum Baden dahin gefahren sind?). 

Unerreichbar schienen dagegen die Münzen im Osten, bis Andreas beschloss, das geplante Oslo-Eltern-Vergnügungs-Wochenende mit einem Einkauf bei IKEA zu verknüpfen. Die dafür erforderliche Transportkapazität war nur mit dem eigenen Auto zu ermöglichen, und wenn wir schon mal mit dem Auto in diese Richtung fahren, wäre es eine Kleinigkeit, die sechs fehlenden Plastikscheiben einzusammeln.

Samstagmorgen um elf waren die Kinder in Hørte abgegeben und wir auf dem Weg nach Oslo – bei den hiesigen Geschwindigkeitsbegrenzungen eine Reise von etwa vier Stunden. Zuerst steuerten wir das Eisenwerkmuseum in Næs an und stellten fest, dass das Museum in einer schönen und gut ausgeschilderten Wandergegend liegt. Dann besuchten wir Tvedestrand, die „Stadt der Bücher“, klein, gemütlich, verwinkelt, bergig und am Wasser. Leider konnten wir nicht verweilen, Risør erwartete uns. Aus touristischen Gründen beschlossen wir, nicht zur E18 zurückzukehren, sondern die Küstenstraße  entlang zu fahren. Eine mutige Entscheidung! Die Aussicht war wunderbar und die Landschaft traumhaft. Die Straße dagegen wurde immer schmaler, bis sie gerade genug Platz für einen gewöhnlichen PKW bot. Dafür führte sie in eleganten Schlängeln und mehreren Haarnadelkurven um kleine und große Felsnasen herum, so dass man nie sehen konnte, wo der Weg weiter ging und wer einem dort entgegen kam.

Schweißgebadet erreichten wir Risør, bezahlten eine horrende Parkgebühr, die dem gerade an diesen Tag stattfindenden Holzbootfestival geschuldet war und machten uns mit den neuen drei Münzen aus dem Staub. Wahrscheinlich ist Risør ein ebenso hübsches kleines Küstenstädtchen wie Tvedestrand, wenn es nicht gerade von Menschen und Zeltplanen verdeckt wird.

Die nächsten Münzen holten wir in Brokelandsheia (einer Touristeninformation direkt an der E18) und in Langesund, das etwa zwölf Kilometer abseits der Hauptstraße liegt. Nun fehlte nur noch eine Stelle, aber die lag in Skien, ein ganzes Stück landeinwärts am Porsgrunnsfjord. Dafür war es schon sechzehn Uhr, und wir waren für achtzehn Uhr in Oslo angemeldet. Auf der schnellsten möglichen Strecke, die unter keinen Umständen in Skien vorbeikäme, hätten wir das gerade so schaffen können. Andreas traf eine schnelle Entscheidung: Pech für die Gastgeber, Glück für unsere münzenfanatische Familie. 

So machten wir uns auf die Suche nach Skien. Letztendlich mussten wir immer nur der R354 folgen, aber in was für abenteuerlichen Kurven! Mehrfach glaubten wir, nun endgültig die Orientierung verloren zu haben, und das ohne vernünftige Karte und in Eile.

In Skien wollten wir außer den Münzen auch eine kleine Pause machen und etwas essen und trinken. Das Hotel, in dem es die Münzen gab, lag umrahmt von unbenutzten Parkplätzen an einem leeren Kai in der Abendsonne und hatte nicht einmal ein Cafe. Also erkundigten wir uns nach dem schnellsten Weg in Richtung Oslo und brachen ungestärkt in die Bergwelt Telemarks auf. Wir sollten der R32 folgen, bis sie im Osten etwa in der Mitte zwischen Tønsberg und Drammen auf die E18 trifft, die unterhalb von Porsgrunn eine großen Bogen entlang der Küste schlägt, bevor es hinauf nach Oslo geht.

Nach einer halben Stunde Fahrt entdeckte Lisanne einen Waldsee mit Campingplatz und Kiosk. Hier sinnierten wir beim Baden und Eis essen über die Vorteile echter Ferien an einem Platz, am besten in einer Hütte, von deren Terrasse man gleich ins Wasser springen kann, riefen unsere Gastgeber an, bedauerten die Verzögerung und machten uns frisch motiviert und verliebt auf den restlichen Weg. Die R32 führt in malerischer Weise durch Berge und Täler. Ein ganzes Stück im Vestfold liegt sie zusammen mit der R40, breit und glatt und voller Hinweisschilder, auf denen zum Beispiel Hvittingfoss[3], Blakfoss oder Fossepark steht. Andreas plädierte für eine Pause, doch Lisanne hatte keinen Sinn mehr für Wasserfälle und andere Naturschönheiten, denn in Oslo wartete eine Abendgesellschaft auf uns, zu der wir ohnehin schon zwei Stunden zu spät kamen.

Aber die Münzen hatten wir!

Zum Schluss fehlten uns noch vier Münzen: zwei aus Arendal, unserem Nachbarort, in den wir es den ganzen Sommer nicht geschafft hatten, und zwei aus der Gegend um Kristiansand, die unliebenswürdigerweise hinter geschlossenen Türen lagen, als wir dort waren. Doch auch hier gab es hilfreiche und unternehmungslustige Besucher, deren Wege „zufällig“ an den genannten Orten vorbeiführten. Somit haben alle drei Kinder alle 45 Münzen gesammelt und beim Wettbewerbskomitee angemeldet.

Zum Gewinnen muss man außer den meisten Münzen auch noch den schönsten Werbespruch über Ferien im Sørlandet haben. Auf den langen Münzsammelfahrten hatten wir alle reichlich Gelegenheit zum Sprüchemachen und damit knapp vierzig Vorschläge. Folgende Sprüche haben die Kinder eingeschickt:

Felix: Das Südland hat alles, was du brauchst – und mehr.

Flora: Komm ins Südland, komm ins Abenteuerland. (wobei das norwegische Wort für      Abenteuer auch Märchen bedeutet).

Frieder: Wenn du nach Hause willst, wohnst du hier.

Andreas: Nichts ist besser als das Südland.  (ohne Münzen)

Mitte September ist Einsendeschluss. Wer wird gewinnen?

Urlaub privat: Oslo für die Eltern

Den Floh mit Oslo hatte Lisanne von ihrer Kusine ins Ohr gesetzt bekommen. Mitten im vollen Besuchertrubel meinte sie, dass es doch nett wäre, wenn Lisanne und Andreas ganz zweisam ein Paar schöne Ferientage verbringen könnten und bot an, die Prinzenkinder solange zu betreuen. Bis wir es geschafft hatten, eine Unterkunft in Oslo zu organisieren, war die Kusine zwar schon wieder abgereist, aber unsere Kinder durften zu Maren auf den Hof nach Hørte kommen, ein Ausflug, von dem sie noch Wochen später schwärmten. Kanufahren, Baden, Trampolinspringen, andere Höfe mit neugierigen Ziegen besuchen, Bücher lesen, ausschlafen  - das war Kinderurlaub vom Feinsten.

So konnten wir entspannt unseren eigenen Abenteuern entgegenreisen, deren erster Teil  weiter oben zu lesen war. Der dritte Teil bestand aus IKEA Oslo – das übrigens Jahr für Jahr mehr Besucher in die Stadt zieht als alle anderen Sehenswürdigkeiten zusammen – und einer langen und friedlichen Rückfahrt mit einem voll geladenen Auto. Da die meisten unserer Leser schon mal ein IKEA-Warenhaus besucht haben, gibt es nichts weiter dazu berichten, außer vielleicht, dass die norwegischen Produkte genauso heißen wie die entsprechenden deutschen, aber oft andere Maße haben, z.B. bei Bettwäsche und Matratzen.

Der zweite Teil unseres Erholungswochenendes bestand aus knapp zwei Tagen Luxusurlaub in Oslo. Andreas hatte uns bei seinem Professorenkollegen Birger Møller-Pedersen eingeladen, der in einem schönen Randbezirk der Stadt (Røa) ein halbes Häuschen besitzt und bewohnt.   

Als wir Samstagabend um acht erschöpft in Oslo anlangten, warteten schon vier gut gelaunte Partygäste und ein schwarzer Kater mit dem schönen Namen Hugo auf uns. Zuerst wurde das Essen serviert, inklusive Aperitif natürlich. Birger ist ein Gourmet und kocht selbst, seine Frau darf Nachtisch herstellen und die Küche aufräumen, eine Arbeitsteilung, die beide zu Lisannes Erstaunen genossen. 

Es gab ganze Muscheln mit Schale in Weißweinsoße, Speckhühnchen auf Gemüse, Stachelbeertarte mit Eis und Schlagsahne, mindestens vier verschiedene Weinsorten und angeregte Gespräche voller Gelächter bis nach Mitternacht.

Am nächsten Tag war Kultur angesagt: zu zweit eroberten wir das Wikingerschiff-Museum, das Fram-Museum und nach der notwendigen Stärkungspause auch noch das Kon-Tiki-Museum.

Menschen sind doch erstaunliche Wesen! Was sie mit den einfachsten Mitteln und einer gehörigen Portion Kenntnisse, Mut und Ausdauer zustande bringen, ist einfach unglaublich. Besonders eindrucksvoll haben wir das im Fram-Museeum erlebt.

Die Fram ist ein Holzschiff mit verstärkten Wänden, das Fridtjof Nansen bauen und im Nordmeer einfrieren ließ, weil er vermutete, dass die Drift direkt am Nordpol vorbeiführen würde. Als klar wurde, das das Schiff nicht weit genug nach Norden kommt, ging Nansen zu Fuß mit einem Kameraden und zwei Kanuschlitten los. Sie kamen soweit nördlich wie niemand zuvor, aber nicht bis an den Pol. Auf dem Rückweg verfehlten sie die Fram, paddelten mit ihren Kanus bis auf eine Insel im Franz-Josef-Land, überwinterten dort in einer selbst gebauten Steinhütte und paddelten im Frühling weiter, bis sie auf Menschen trafen. Sie erreichten Norwegen etwa zeitgleich mit der Fram. Das alles geschah 1893 bis 1896, und wer die Ausrüstung der beiden gesehen hat, kann sich nur wundern.

Im Kon-Tiki-Museum hing Lisanne den Träumen ihrer Kindheit nach. Als sie Ende der siebziger Jahre die Bücher über Thor Heyerdahl las, war Norwegen genauso fremd und unerreichbar wie die Südsee. Jetzt durfte sie das (für sechs erwachsene Männer erstaunlich kleine) Balsaholzfloß mit eigenen Augen sehen, dazu Ra II und massenhaft Bilder, Filme und andere Ausstellungsstücke.

Nach den drei Museen hatten wir genug Innenerlebnisse und beschlossen, mit dem Dampfer ins Stadtzentrum und von dort mit der T-Bahn (einer Art S-Bahn) zur Sprungschanze auf dem Holmenkollen zu fahren.

Durch das Skimuseum, das wir nur flüchtig im Vorbeigehen wahrnahmen, kamen wir zum Fahrstuhl und vom Fahrstuhl über eine endlos lange Treppe in den Absprung- und Aussichtsturm. Die armen Skispringer! Erst müssen sie mit den schweren Skiern ewig Treppen steigen und dann sollen sie sich in die Tiefe stürzen. Die Schanze geht schon fast senkrecht hinunter, aber der Auslauf, der nach der Schanze kommt, ist noch steiler, bis er dann in eine etwas größere Suppenschüssel übergeht. Diese Schüssel wird jeden Sommer mit Wasser gefüllt und bietet eine großartige Arena für Benefizkonzerte und Wettbewerbe im ins Wasser rutschen, vorzugsweise auf allen möglichen (oder besser unmöglichen) selbst gebauten rutschenden Untersätzen von einer kleineren Seitenschanze.

Birger und seine Frau holten uns am Holmenkollen ab, um uns noch ein paar geheime Plätze mit den allerschönsten Aussichten auf Oslo zu zeigen. Schon die gewöhnlichen Aussichten auf Oslo sind schön, denn Oslo liegt im Süden am Fjord, mit Inselchen, Überseedampfern und allem was dazugehört, und auf den anderen Seiten ist freies Land, das schnell in Berge und Wald übergeht, unterbrochen von Seen und Feldern.

Nach einem erfrischenden Bad im „Haussee“ von Røa bekamen wir ein neues fantastisches Abendessen und frisch geerntete Johannisbeeren zum Nachtisch – das Paradies für Andreas. Schweren Herzens beendeten wir unsere angeregte Unterhaltung kurz vor Mitternacht, um für unseren Einkaufsmarathon am nächsten Tag gewappnet zu sein.   

Vormittags schlenderten wir den „Kudamm“ Oslos, die Karl-Johanns-Gate, entlang, bis wir fußlahm waren und die Mitbringseltüten kaum noch tragen konnten. Mittags holten wir unser Auto aus Røa, und den Rest des Tages verbrachten wir in glücksseligen Erinnerungen schwelgend bei IKEA und auf der E18.

Urlaub privat: Deutschland, Speiderleir[4] und Prekestolen

Obwohl wir dort wohnen, wo andere Ferien machen, ist es auch schön zu reisen. Deshalb durfte sich jedes unserer Kinder ein Reiseziel für die Ferien wählen. Frieder wusste schon im Februar genau, was er wollte: zu Brigitte von ÖkoLeA fahren. Doch ÖkoLeA liegt am Rande von Berlin, und wir hatten beschlossen, im Sommer nicht nach Deutschland zu fahren. Deshalb gaben wir Frieder nur sehr zögerlich die Zustimmung zu seinem Wunsch. Aber das Leben war wieder einmal viel großzügiger und weitsichtiger als wir: Brigitte wollte uns besuchen und konnte Frieder auf dem Rückweg mitnehmen, und anderer Besuch von ÖkoLeA brachte Frieder wieder nach Hause.

Dass Frieder es in Klosterdorf gut hatte, ist verständlich, schließlich ist ÖkoLeA ein Kinderparadies und Brigitte sorgte zusätzlich noch für echte Ferienattraktionen wie Kino, Fernsehturm, Baden, Schwimmhalle (mit Wasserrutsche natürlich) und Eis essen.

Flora wagte eine ganz neue und herausfordernde Variante: sie fuhr für eine Woche ins Pfandfinderlader, das Ende Juni unter dem Motto „Hopp i havet“ [5] in Karlsvika bei Tønsberg stattfand. Die erste Herausforderung hatte allerdings nicht Flora zu bestehen, sondern wir Eltern. Das Kind sollte mit einem Rucksack versehen werden, der eine lange Liste von Sachen enthalten musste, die nur anteilig in unserem Haushalt zu finden waren. Außerdem durften sie alle beschriftet werden und passten in keiner Weise in den einen Rucksack. Flora stand in ihrem Zimmer und heulte, weil der Rucksack zu schwer werden würde und sie ihn nicht tragen konnte, Lisanne und Andreas schrieen sich entnervt an. Schließlich kam Lisanne auf die Idee, bei Mette, der Mutter von Floras Freundin und Pfadfindergruppenleiterin, anzurufen. Und siehe da, es war kein Problem, mehrere Gepäckstücke zu haben, sie waren auch nur vom Auto ins Zelt zu tragen und da konnte man mehrmals gehen und Hilfe erwarten. 

Die anderen Herausforderungen bestand Flora dann ganz alleine (mit den anderen Pfadfindern natürlich): Zelt und Tisch bauen, selber Essen kochen, abwaschen, Ordnung halten, Lagerfeuer, singen, Bibelstunden[6], wandern, baden, Taschengeld ausgeben und dem Regen trotzen, der fast die gesamte Woche zu Gast war.

Außerdem gab es noch den „Haik“ (norwegisch für das englische „hike“ = wandern). An einem Morgen wurden kleine Gruppen eingeteilt, jeder nahm Rucksack, Schlafsack, Essen und Trinken mit und dann musste jede Gruppe für sich durch die Wildnis zu einem Lagerplatz wandern. Dort wurde unter einer Plane übernachtet und am nächsten Tag ging es wieder zurück.

Flora kam nach der Woche übermüdet, verdreckt (es gab keine Duschen und das Meer war kalt), glücklich und mit den leuchtendsten Augen zurück, die wir je bei ihr gesehen haben.

Felix hatte keine Erwartungen und Wünsche für die Ferien außer ausschlafen und viel Zeit haben. Außerdem hatte er einen Ferienjob angenommen: cirka alle zwei Wochen jeweils fünf Stunden Rasenmähen für das Hotel Helmershus. Da wir aber fanden, dass er auch etwas ohne den Rest der Familie unternehmen sollte, schickten wir ihn mit den Großeltern mit, die eine einwöchige Tour nach Stavanger geplant hatten. Zusätzlich zu Übernachtungen in kleinen Hütten mit abenteuerlichen Sitz- und Schlafgelegenheiten, Einkaufstouren, stundenlangem Geschichtenerzählen und neuen Piratsommermünzen gab es natürlich die obligatorische Wanderung auf den Prekestol. Das Wetter am Tag der Besteigung war bedeckt, und nachdem sich die tapferen Reisenden durch die dicken feuchten Wolkenschichten vorgewagt hatten, standen sie auf dem Prekestol unter blauem Himmel über weißem Nichts. Aber das spannendste Erlebnis für Felix war ein Geisterschiff im Flekkefjord. Der Schatten des Schiffs war deutlich auf den Felsen zu sehen, aber wo war das Boot selbst? Es gab kein Boot, nur die Felsen auf der anderen Seite des Fjords und erstaunliche Licht- und Schattenverhältnisse. Felix empfiehlt allen, dort hin zu fahren und das Wunder selber zu bestaunen.

Was sonst noch passierte

Wie der letzte Bericht schon vermuten ließ, haben wir Floras Kaninchen kastrieren lassen. Auch haben die Kaninchen tatsächlich Namen bekommen: Sam und Lisa. Der Besuch beim Tierarzt war, abgesehen von Floras Tränen, ganz unspektakulär. Früh hatten wir das wache Kaninchen gebracht und nachmittags ein etwas müdes zurückgekriegt. Die erste Nacht sollte Sam nicht in den großen Käfig, deshalb durfte er ausnahmsweise in seinem Transportkäfig in Floras Zimmer übernachten. Flora war sehr zufrieden damit, bemerkte aber beim Frühstück trocken: „Ein Kaninchen ist ein guter Wecker.“ „Hä?“ „Ja, um fünf hat Sam angefangen, am Käfig zu kratzen und mit den Hinterläufen zu klopfen.“ Seitdem ist es auch in Ordnung, dass die Hasen draußen schlafen.

Ein weiteres zufriedenes Familienmitglied ist dank der neuen Tiefkühltruhe Lisanne. Die so idyllisch scheinenden Ideen des Marmeladekochens hatten sich angesichts der Intensität des gewöhnlichen Alltags in Horrorfantasien verwandelt. Doch zum Beeren ernten (oder kaufen), waschen und aussortieren ist manchmal Zeit, und die Truhe sperrt geduldig ihren großen Rachen auf und zu und wartet auf bessere Zeiten. Es sind sogar schon ein paar Fische drin!

Trotzdem ist es natürlich schön, wenn wir nicht immer selber das Essen zubereiten müssen. Essen gehen ist eine ziemlich teure und weniger übliche Angelegenheit mit geringer Auswahl in Grimstad, was vor allem Lisanne zutiefst bedauert. Abhilfe schafften unsere Sommergäste, die uns alle der Reihe nach zum Essen einluden. Es gab zum Beispiel gefüllte Pfannkuchen, spanische Nudeln, Fleisch in süß-sauer Soße, Kartoffelauflauf, Pizza, echte Tomatensoße, Büchsenlinsen und Salate in jedweder Form und Farbe. Einmal aßen wir sogar zu siebent oben in der Ferienwohnung, sonst in der Küche und oft auf unserer schönen Terrasse.

 

Wahrscheinlich haben wir noch ganz viele schöne und wichtige Erlebnisse vergessen, so wie Frieder, der eigentlich ein Buch über seine Ferien selbst gestalten sollte, dies aber erst zwei Tage vor dem Schulanfang entdeckte. Da fragte er dann verzweifelt: was soll ich da reinschreiben?

Da hier aber wieder zwölf Seiten voll sind und die Ferien zu Ende, ist uns wohl für dieses Mal gerade noch genug eingefallen.

-ENDE-

 



[1] Sprich: „schitt“

[2] Norwegischer Piratenschlachtruf, unübersetzbar

[3] foss = Wasserfall

[4] Speider = Pfadfinder, leir = Lager

[5] Auf Deutsch: „Spring ins Meer“

[6] Die Pfadfinder, die es in Grimstad gibt, sind alle christlich.