Ein zauberhafter und wunderbarer Sommer. Während Lisanne diesen Bericht anfängt, befinden wir uns auf „Gamle Hellesund“. Damit wir unser Taufgeschenk von Felix Paten ein. Sie besitzen nämlich ein stattliches Haus in einem ehemaligen Fischerdorf eines äußeren Hafens – also auf einer Insel, und dorthin sind wir für ein langes Wochenende eingeladen. Von der Veranda aus hat man einen fantastischen Blick über die restlichen Teile des Dorfes auf der anderen Seite des Fjords, auf die Schäreninseln und hinaus aufs offene Meer.
Das Haus selber war in seiner langen Geschichte sowohl Gemischtwarenhandel als auch Pensionat, jetzt beherbergt es sechs Schlaf- und drei Wohnzimmer sowie Küche und Bad für die Familie Næser und ihre glücklichen Gäste. Wasser kommt kalt aus dem Brunnen, Licht geht mit Strom aus einem eigenen Schwachstromgenerator und das Plumpsklo ist übern Hof zu erreichen – immer wieder eine Gelegenheit, die ständig wechselnden Farbenspiele am Himmel und die unvergleichliche Aussicht zu allen Tages- und Nachtstunden zu bewundern.
Aber bis wir es vom Schluss des letzten Berichts Anfang Mai bis hierher, an den Anfang des Augusts geschafft hatten, ist eine ganze Menge passiert.
Gleich Anfang Mai stand Felix vor seiner ersten Feuerprobe: Abschlussprüfung in Mathematik für die zwölfte Klasse. und das, nachdem er im August und September die elfte und danach für ein gutes halbes Jahr die zwölfte in Mathematik besucht hatte – und ansonsten die neunte. Felix kam zufrieden nach Hause, er hatte nicht nur ein gutes Gefühl für sein Ergebnis, sondern auch zum ersten Mal, und ganz selbständig, den öffentlichen Personennahverkehr benutzt, um aus dem Nachbarort Arendal wieder nach Hause zu kommen. Da die Norweger sehr gründlich und anonym beim Auswerten von Prüfungen vorgehen, mussten wir allerdings bis Mitte Juli auf das Ergebnis warten: 5! Da kann man doch stolz sein.
Felix allerdings hatte keine Zeit für Langeweile. Jetzt kamen die schriftliche Prüfungen für die zehnte Klasse: erst in Mathematik und dann eine etwas schwierigere in Englisch. Danach war es Zeit für seine Konfirmation und schon zwei Tage später für die mündlichen Prüfungen.
Das System für mündliche Prüfungen ist in Norwegen ein wenig anders als in Deutschland. Damit die Schüler wissen, was auf sie zukommt, bekommen sie zuerst eine Probeprüfungsaufgabe, die allerdings unter den gleichen Bedingungen stattfindet wie eine richtige mündliche Prüfung. Die Schüler bekommen eine Aufgabe und 48 Stunden Zeit, in denen sie mit Hilfe aller ihnen zugänglicher Mittel eine Präsentation ihres Themas vorbereiten sollen. Diese dürfen sie dann in der echten Prüfung in etwa einer Viertelstunde präsentieren, am besten unter Verwendung verschiedenster audiovisueller Hilfsmittel.
Felix Thema kam aus dem Fach Norwegisch als Zweitsprache und lautete:
„Arm und reich in der Literatur, unter Beachtung der Literaturperioden, besonders des Realismus und Naturalismus“. Dazu ein Wahlthema aus den Gebieten Drama, Comic und Essay.
Aufgrund irgendwelcher technischer Details hatte Felix nur von Montag früh bis Dienstag Mittag Zeit, und diese sechsunddreißig Stunden wurden zu einer Geduldsprobe für die ganze Familie.
Das Wahlthema war schnell bestimmt – Drama, aber da hörte es dann auch schon auf. Felix wälzte ratlos seine schweren Ordner, in denen alles nötige Wissen enthalten war. Vieles davon war ja auch in seinem Kopf, aber eher in einer Art verwirrtem Wollknäuel, und das bedeutete, dass wir den gesamten Montag damit verbrachten, Felix zu einer vernünftigen Gliederung seines Vortrages zu bewegen. An dieser Stelle darf man nicht vergessen, dass Felix vierzehn und damit im besten Pubertätsalter ist. Es ging also längst nicht nur um fachliche Inhalte sondern um Fragen wie: Wieviel Rat von den eigenen Eltern kann ich annehmen? Wie können wir Felix Vorschläge machen, die sich nicht wie Vorschläge anhören und deswegen eine Chance auf Benutzung haben? Wieviel wollen, sollen, dürfen wir uns einmischen?
Dienstag Vormittag verging in einer Balance zwischen Aufmunterung und Arbeitsanstoß, denn das Gerippe musste ja mit der richtigen Menge Fakten gefüllt werden. Felix wusste sie inzwischen alle, aber ihn dazu zu bewegen, sie in der richtigen Reihenfolge und halbwegs passender Ausführlichkeit zu verwenden, war schon ein Kunststück. Mit den audiovisuellen Hilfsmitteln allerdings hatte Felix keinerlei Probleme. Vergnügt griff er Floras Stabfigurentheater im Umzugskarton, das sie letzten Sommer mit der Oma gebastelt hatte und entwarf mal eben ein kleines Schauspiel zum Thema „arm und reich“. Außerdem hatte er schöne Musik gefunden – „Ich wär so gerne Millionär-“ zwar auf deutsch, aber wir fanden, das machte nichts, dazu hatten wir ein paar schöne Zitate aus einem norwegischen Zitatenlexikon ausgegraben und Felix hatte seine Zeitleiste zum Thema arm und reich bunt und ordentlich auf ein großes Blatt gemalt.
Und dann mussten wir schleunigst losfahren, damit er noch pünktlich zum Probetermin in die Schule kam. Ohne den ganzen Text samt Einlagen auch nur einmal im Zusammenhang geübt zu haben…..kam er nach einer halben Stunde erschöpft, aber vergnügt und sehr zufrieden mit einer sechs wieder heraus.
Die richtige mündliche Abschlussprüfung für die zehnte Klasse war dagegen nur noch ein Klacks. Die Fächer wurden gezogen (oder gewürfelt, die Schüler hatten damit nichts zu tun), und Felix landete wieder bei Norwegisch. Das Thema war diesmal Jugend in den verschiedenen Literaturperioden und als Wahlthema gab es Lyrik, Roman und Reklame zum Aussuchen. Felix entschied sich für Reklame und legte los. Diesmal wusste er, wie es geht. Das Gerippe war in Nullkommanichts fertig, einen zögerlichen Moment lang nölte Felix mit dem Ausfüllen der Daten herum (Lisanne versteht bis heute nicht, warum es so schwierig ist, aus einem kompletten Hefter voller Informationen die wichtigen Stellen herauszusuchen), ein paar mehr oder minder flüssige Probevorträge, auch hier Musik und eine schöne große Zeittafel… Blieb nur noch der Wahlteil mit der Reklame übrig. Und da hatte Felix dann die Idee des Jahres: er würde seinen Vortrag mit Reklame beginnen und beenden, und zwar mit Reklame für seinen eigenen Vortrag.
Stellt Euch also Felix vor, der in seinen guten Sachen vor der Prüfungskommission steht, das Zeichen zum Anfangen erhält und beginnt: „Wir unterbrechen den Vortrag für Reklame.“ Dann springt er zur Seite, setzt einen Hut auf, nimmt den großen Rührlöffel als Mikrofon und verkündet: „Meine Damen und Herren! Kommen sie zur weltbesten, genialsten und schönsten Examensprüfung in Norwegisch als Zweitsprache. Wollten sie schon immer mal etwas über Jugend in der Literatur und Reklame wissen? Hier erfahren sie es. In zehn Sekunden beginnen wir!“ Dann springt er beiseite, legt sein „Kostüm ab und hält einen ordentlichen guten Vortrag, und zum Schluss: „Meine Damen und Herren…. Kommen sie zur genialsten usw. Bewertung einer Examensprüfung…Wollen Sie wissen welche Note Felix bekommt? Hier erfahren sie es! In zehn Sekunden beginnen wir!“
Der aus einer anderen Stadt kommende Prüfer war so imponiert, dass er Felix „eine gute sechs ohne Diskussion“ gab. Und natürlich war Felix mit seiner Prüfung Schulgespräch für die nächsten Tage.
Im Gegensatz zu den Prüfungen war die Konfirmation für Felix nur ein kleines Ereignis. Da er auch niemanden weiter kannte, der in letzter Zeit konfirmiert worden war oder Jugendweihe hatte, war er sich in keiner Weise über die Bedeutung dieses Festes im Klaren. Von Anfang an weigerte er sich, eine Party zu veranstalten, Geschenke, na ja, wenn es sein musste, würde er die entgegennehmen.
Als Eltern und Gejugendweihte hatten wir allerdings einen etwas besseren Überblick und bestanden zumindest auf einem Familienfest zusammen mit Felix norwegischen Paten.
Früher einmal gab es ja so etwas wie eine Prüfung oder Anhörung der Konfirmanden. Das ist, zumindest hierzulande, nicht mehr üblich. Stattdessen gestalteten die Jugendlichen einen speziellen Gottesdienst zu einem der Themen, mit denen sie sich in der Konfirmandenzeit beschäftigt hatten. In einem kleinen Theaterstück erlebten wir ein Stück Menschenhandelsgeschichte, und dann wurden einigen Anwesenden die „Waschzettel“ aus den Kleidern geschnitten (also diese Schilder, auf denen steht, was es für ein Material ist und wie man es waschen darf). Diese Schilder werden an den Norwegischen Premierminister geschickt, damit er sich dafür einsetzt, dass man in Zukunft herausfinden kann, wo die Kleidungsstücke, die man kaufen will, hergestellt werden. „Schwarze Schafe“ in der Branche sollen so leichter ausfindig zu machen sein, und auf jeden Fall kann man dann wissenden Auges Kleider kaufen, die entführte Kinder genäht haben oder eben auch nicht.
Der Konfirmationssonntag selber aber kam erst zwei Wochen später, nach Kostümprobe und Fototermin. In unserer kleinen Kirche wurden drei Gruppen mit jeweils zwanzig bis fünfundzwanzig Jugendlichen konfirmiert, im Anderthalbstundentakt. Von den vielen schönen Festkleidern bekamen wir nicht mehr zu sehen als ein paar Kleidersäume und (zum Teil unglaublich hohe) Stöckelschuhe, weil alle Konfirmanden weiße Umhänge trugen. Der Gottesdienst war kurz und festlich. Für jeden Konfirmanden wurde ein extra Gebet gesprochen, und dann ging es endlich hinaus in die Sonne, zum Fotografieren, zu Glückwünschen, Geschenken und Festgelagen. Felix Mitschüler wurden ja auch konfirmiert, deren Familien hatten zum Teil dreißig bis vierzig Gäste.
Wir dagegen waren nur sieben Feierlustige. Zuerst einmal fuhren wir nach Hause und Felix durfte seine Geschenke bewundern. Schon in der Kirche waren zwei Päckchen und zwei Briefumschläge für ihn angekommen, und an der Haustür warteten noch zwei, die sich im Laufe des Tages auch noch vermehrten. Felix war völlig überrascht und begeistert. Mittag aßen wir im italienischen Hafenrestaurant, dort gab es Nudeln, Pizza und vernünftige Gerichte für die Erwachsenen.
Mit der Ausbeute aus all den vielen Umschlägen kann Felix nun im Herbst endlich die ersehnten Alpinski kaufen. Da werden wir wohl im Winter ein paar Wochenenden für Skitouren reservieren müssen. Außer Geld bekam Felix auch noch Bücher, und zwar vier Mal dasselbe zum Bibelstudium. Das hat einer aus Grimstad geschrieben, es ist gut und preiswert – aber was sollten wir mit fünf Exemplaren? So behielten wir das eine von der Taufe und Felix durfte die anderen im Buchladen umtauschen. Nach langem zähem Ringen und Überlegen fällte er endlich seine Entscheidung – und kam freudestrahlend mit einem Monopolyspiel nach Hause. Bibel gegen Börse…
Erwähnenswert ist auch der neue Schulrucksack, wieder mal ein Geschenk, das die lieben Eltern dem „armen Kind“ aufgedrängt und die Großeltern dankenswerterweise finanziert hatten. Felix letzter, eigener, alter Schulrucksack war schon längst kaputt, er benutzt seit Ewigkeiten ein prähistorisches Fossil von Andreas. Die anfängliche Skepsis wich allerdings sehr schnell zugunsten von Stolz und Freude, und Lisanne schickt Felix nun mit einem viel besseren Gewissen auf die Oberschule.
Zur Ausbildung in der neunten Klasse gehört in Norwegen, dass die Schüler ein Betriebspraktikum machen, aber es ist nur eine Woche lang. Ihren Arbeitsplatz sollen sie sich selber suchen. Wir waren sehr gespannt, was Felix finden würde und noch mehr überrascht, als er uns seine Entscheidung mitteilt: er wollte beim Pfarrer arbeiten.
Nun, Tom (der Pfarrer) hatte nichts dagegen. Felix half beim Gottesdienst, musste die gesamte Kirche samt Sitzbänken Staubsaugen, den Friedhofsrasen mähen, die Bänke dort schrubben und durfte an den letzten zwei Tagen auch zu ein paar Besuchen mitkommen. Er war ganz schön k.o.. Und meinte anschließend, er hätte nicht gedacht, dass ein Pfarrer so hart körperlich arbeiten muss.
Der Pfarrer wiederum war ganz begeistert von Felix und vor allem von den vielen philosophischen Fragen, die Felix ihm gestellt hat. Zum Beispiel: Warum will Gott, dass wir Rasen mähen?
Während Felix schuftete, litt Flora. Ihr Geburtstag fiel in diesem Jahr genau auf den ersten Tag der Konferenz, und so hatten wir ihr gleich gesagt, dass wir da nicht feiern können. Flora hatte natürlich nur gehört: wir feiern nicht. Also heulte, maulte, zickte, jammerte und schimpfte sie wochenlang. Oder sie zog sich beleidigt zurück. Schließlich explodierte Lisanne. Knurrend fragte sie die liebe Tochter, was diese denn gehört hätte. „Dass mein Geburtstag nicht gefeiert wird.“ „OK, dann hör mir jetzt bitte einmal ganz genau zu. Wir haben gesagt, wir feiern deinen Geburtstag nicht am Montag den 20. Juni.“ (Beleidigt-klagende Laute von Flora) „Aber wir haben auch gesagt – hör zu!- dass wir in der Woche vorher das Fest mit den Schulfreundinnen organisieren UND deinen echten Geburtstag einfach um einen Tag nach vorne auf den Sonntag verlegen und da mit der Familie feiern UND dass wir im Sommer mit der Greifswalder Oma noch mal nachfeiern UND dass du an deinem Geburtstag zu Lene gehen darfst und dass Lenes Mama Wunschessen für dich kocht und ihr dort auch noch ein bisschen feiert. Meinst du, das könnte als Ersatz reichen?!“
Nachdem Flora alle Feiervarianten zweimal wiederholt hatte, waren sie tatsächlich bis in ihr Gehirn gedrungen und wir konnten die Vorbereitungen etwas friedlicher fortsetzen.
Nachdem Flora kapiert hatte, dass der Geburtstag nicht ausfällt, fiel es ihr auch ganz leicht, sich etwas zu wünschen: ein norwegisches Gartentrampolin. Frieder, der ja nur sechs Tage nach Flora Geburtstag hat, schloss sich begeistert diesem Wunsch an. Wir konnten argumentieren, wie wir wollten, die Kinder ließen nicht locker. Was machte es schon, dass unser Garten gar nicht genug ebene Fläche mit 4 Meter Durchmesser hat? Dass massenhaft Nachbarn ein Trampolin besitzen und unsere Kinder jederzeit dort hüpfen dürfen? Dass es viel zu teuer als Geburtstagsgeschenk ist, selbst geteilt durch zwei Kinder?
Nun, der Ausgang dieser Diskussion ist unschwer zu vermuten. Zu Frieders Geburtstag bauten wir das funkelnagelneue Trampolin im Innenhof auf. Alle waren hellauf begeistert. Es ist faszinierend, wie lange die Kinder auf dem Ding hüpfen können. Wir Erwachsenen verlieren nach fünf Minuten den Atem, aber sie sind auch nach zwei Stunden nur mit Mühe runterzukriegen. Das Trampolin erwies sich auch als eines der wenigen Dinge, um die es keinen Streit gibt. Wer richtig kräftig und hoch hüpfen will, muss alleine auf dem Trampolin sein, aber es gibt eine Menge Spiele mit langsamerer Bewegung, bei denen sie dann doch zusammen sein dürfen.
Aus Sicherheits- und Nervenschonungsgründen haben wir mit dem Trampolin gleichzeitig ein Sicherheitsnetz erworben. Salto darf man zwar immer noch nicht machen, weil die Gefahr, dass man auf dem Nacken landet und die Wirbelsäule verletzt, zu groß ist. Aber wenigstens kann keiner neben das Trampolin hopsen. Das ist zwar nur einen Meter hoch, aber wenn man kräftig springt, kommt man schon mal aus drei Meter Höhe nach unten geschossen.
Inzwischen steht das arme Trampolin etwas verbeult im Garten, schief und zwischen drei Bäume geklemmt. Im Zuge des Hausölens mussten wir es abbauen, da es sonst ganz fettig geworden wäre und auch sonst im Weg gestanden hätte. Aus Bequemlichkeitsgründen verfügte Andreas, dass wir nur die Beine abbauen und das gespannte Netz mit seinen vier Metern Durchmesser so wie es ist um das Haus herum und den steilen Rasen hinunter in den Garten tragen. Ob es wirklich bequemer oder schneller war, als alle Federn zu lösen und wieder anzubauen, ist fraglich. Der Metallrahmen verbog sich innerhalb weniger Sekunden zu einem Gebilde, das man vielleicht am besten mit der Oper in Sydney vergleichen kann. Brutal wurde er wieder in seine alte Form gepresst (oder wenigstens in etwas Naheliegendes), dann schleppten und schleiften wir ihn zu fünft an seinen Bestimmungsort. Leider war inzwischen die Unterseite oben, so dass wir ihn auch noch wenden mussten. Man glaubt gar nicht, wie hoch und unhandlich vier Meter sind und was so ein bisschen Aluminium mit Kunstfasernetz wiegt….
Die Geburtstagsfeiern selber gingen diesmal ziemlich schmerzlos über die Runde. Frieder versprachen wir einen Bowlingabend mit seinen besten Freunden. Eine Klassenfeier kam nach dem Chaos im letzten Jahr einfach nicht mehr in Frage. Eigentlich sollte dieses Fest in den Sommerferien stattfinden, aber soweit sind wir nicht gekommen. Immerhin hatten wir einen schönen Familienfeiertag und noch ein Nachfest mit der Oma.
Flora hatte ja, wie schon beschrieben, gleich eine ganze Woche Geburtstag. Nachgiebig, wie wir waren, ließen wir uns darauf ein, ihre gesamte Klase zu einem Wassergeburtstag einzuladen. Zum Glück kamen nur elf Kinder, aber die hatten es wirklich gut und wir waren damit völlig ausgelastet.
Zuerst gab es Torte. Flora hatte sich eine Swimmingpooltorte gewünscht, also einen Fertigtortenboden mit einem Loch voller grüner Götterspeise und einer Menge Dekoration: badende Gummibären und Puppen, Schwimmringe aus Mäusespeck und Wasserbälle aus gestreiften Bonbons, Luftmatratzen aus Marzipan und dazu eine Kollektion von Frieder sorgfältig geretteter und gut behüteter Eisbecherpapier-schirmchen. Aus Erfahrung klug geworden, servierte Lisanne zusätzlich Brownies aus der Fertigbackmischungstüte. Die wurden dann sogar mit Begeisterung gegessen.
Es ist schon immer wieder erstaunlich, wie sehr Kinder durch das geprägt sind, was sie kennen und wie wenig Gefallen sie an Neuem oder Anderem finden. Selbst wenn sie bei uns ihnen bekannte norwegische Dinge kosten, tun sie es mit der Erwartung: „Mal sehen, was das für ein komisches deutsche Zeug ist“ und mit einem entsprechend ablehnenden Ergebnis. Nein, es sind nicht alle so, aber die meisten.
Nach dem Essen ging es weiter mit Staffelspielen und einer Aktivitätsschatzsuche. Diese diente dazu, das Finden der obligatorischen Süßkramtüten etwas schwieriger zu machen. Die Kinder mussten sich den Inhalt der Tüte selbst an neun verschiedenen Stellen zusammen suchen: etwas lag ganz oben im Baumhaus, das nächste war im Buddelkasten vergraben, am Kletterseil hing etwas und anderes am Kirschbaum, allerdings auf der falschen Seite vom Graben …
Und dann, endlich, endlich, ging es los mit dem Wasser. Alle verschwanden in abgeschlossene Räume und zogen sich um. Danach wurde die Wasserrutsche ausprobiert und mit Wasserballons geschossen, bis die Eltern kamen und die ersten durchweichten und verfrorenen Kämpfer abholten. Die meisten waren aber selber mit dem Fahrrad gekommen, und so dauerte es noch gut eine Stunde, bis wieder Ruhe einzog und wir die vielen, vielen Wasserballonschnipsel vom Rasen sammeln konnten. Alles in allem war es ein so gelungenes Fest, dass sogar Flora zufrieden war.
Während Flora also am Montag weiterfeierte, waren Andreas und Lisanne vom frühen Morgen an in der HiA. Montag war zum Glück ein Übungs- und Eingewöhnungstag, denn es fanden nur Workshops statt, mit insgesamt 35 Teilnehmern. Abends gab es einen Empfang beim Bürgermeister mit anschließender Stadtführung. Andreas war ein wenig beunruhigt, weil wir ja 50 bis 60 Leute dort angemeldet hatten, aber nur mit 30 dort hin fuhren. Wie groß war daher sein Erstaunen, als er vor dem Rathaus eine etwa eben so große Gruppe von Konferenzteilnehmern traf, die erst für den nächsten Tag angemeldet, aber schon angereist waren. Auf den Begrüßungszetteln, die wir für unsere Konferenzteilnehmer in den Hotels abgegeben hatten, stand nämlich eine Extraeinladung mit Wegbeschreibung zu diesem Empfang und die Teilnehmer hatten diese dankend angenommen. Der Bürgermeister hielt eine kleine Rede, Andreas auch, es gab Häppchen und sogar Wein und danach ein fantastisch spannende und interessante Stadtführung mit dem Leiter des Ibsenmuseums. Andreas kam froh und beschwingt nach diesem ersten Tag nach Hause, es hatte alles wunderbar geklappt.
So wie es begonnen hatte, ging es dann auch weiter. Das Glück war uns hold, und nicht nur das, sondern sogar die Wettergötter. Am Dienstag war der große Grillabend mit Bierverkostung von der lokalen Spezialitätenbrauerei (Nøgne Ø) vorgesehen. Leider hatte jemand den Teilnehmern erklärt, dass es immer regnet, wenn man in Norwegen grillt. Also regnete es – von 18.30 bis 20.00 Uhr – und um sieben war das Essen fertig…. Zum Glück konnte man in der Kantine sitzen, nur das Essen (und das Bier) musste jeder draußen holen. Kurz nach 20 Uhr schien dann wieder die Sonne, zum grenzenlosen Erstaunen der Teilnehmer. Wir waren weniger überrascht, echtes Sørlandswetter funktioniert genau so. Die einzige Schwierigkeit an diesem Abend bestand darin, die vergnügten Gäste wieder nach Hause, also in ihre Hotels, zu schicken. Unsere Ausschankgenehmigung ging nämlich nur bis 22 Uhr. Also versuchten wir so gegen halb zehn, langsam aufzuräumen und die Gemütlichkeit etwas zu reduzieren. Der Erfolg war mäßig. Nach einer Weile begann zwar der Großteil der Feiernden wirklich aufzubrechen, aber drei Gruppen Unverfrorener blieben einfach sitzen. Erklärt mal einem Deutschen, dass er an einem lauen, hellen Mittsommerabend nicht draußen sitzen und mit seinen Kumpels Bier trinken darf! Nur unter schweren Drohungen und inständigen Bitten gelang es uns, die Anwesenden davon zu überzeugen, dass sie und wir in ernsthafte Schwierigkeiten kommen würden, wenn sie nach Ablauf der Ausschankgenehmigung Bier trinkend vor der Kantine, oder schlimmer noch, auf der Straße erwischt werden würden. Die Polizei ist hier bei solchen Vergehen gar nicht zimperlich, und die Konzessionsstrafen sind saftig. Zu allem Unglück kommt man dazu auch noch in die Zeitung. Das wollten wir zwar gerne, aber nicht unter der Überschrift: „Deutsche Computerspezialisten wegen öffentlicher Trinkerei verhaftet / HiA-Professor verliert Glaubwürdigkeit“.
Zum Glück ging alles gut. Mittwoch waren dann so ziemlich alle Teilnehmer angereist und die ersten auch schon wieder auf dem Weg nach Hause. Die Zurückbleibenden durften sich dafür auf das offizielle Konferenzdinner im Neptunsaal vom Strandhotel Fevik freuen. Bevor sie aber den großen ovalen Saal mit den Hunderten kleiner Lämpchen in der Decke betreten und bewundern durften, mussten alle erst einmal mit einem Aperitif in der Hand die Aussicht genießen. Das Strandhotel macht seinem Namen alle Ehre. Es hat tatsächlichen einen, vielleicht 150 Meter langen, Sandstrand und einen fantastischen Blick aufs offene Meer mit nur zwei ganz kleinen Schären davor. Der Himmel war blau, Sonne und Mond schienen (es war schließlich abends um acht), ein laues Lüftchen wehte… Um es kurz zu machen: das Essen sah nicht nur fantastisch aus, es schmeckte auch wunderbar. Es gab zwei Vorspeisen, ein Hauptgericht, warme Erdbeeren mit Vanillesoße als Nachspeise und dann noch Kaffee und dazu handgemachtes Konfekt aus der Arendaler Schokoladenfabrik.
Letzteres war ein großer Glücksfall, der aus einem Versehen entstand. Lisanne hatte nämlich Kaffee mit avec bestellt und sich darunter solche hübschen kleinen bunten Kuchenstückchen vorgestellt. Zum Glück kam eine Freundin auf die Idee zu behaupten, dass ein avec Alkohol ist. Lisanne fragte also noch mal im Hotel nach. Und tatsächlich, avec wäre Cognac oder so etwas gewesen. Und Törtchen gäbe es nicht, weil das Hotel keinen eigenen Konditor hat. Was nun? Lisanne schlug vor, dass sie ja einfach ein paar Konfektkästen mitbringen könnte, was wiederum der Hotelmanagerin nicht so gut gefiel. Da wollte sie das Konfekt schon lieber selber besorgen, und das hat ja dann auch wunderbar geklappt.
Donnerstag Nachmittag war die Konferenz zwar offiziell zu Ende, aber nicht das Kulturprogramm, denn es war Sankt Hans Abend - Johanninacht. Und wieder war uns das Wetter hold, um nicht zu sagen: es liebte uns. Selbst die Grimstader behaupteten später, schon seit Jahren keine so schöne, sonnige und warme Johanninacht mehr gehabt zu haben. Leider führte das natürlich dazu, dass die armen Ausländer sich vom Anblick des blauen Himmels täuschen ließen und glaubten, es wäre auch abends auf dem Meer warm. Die von Lisanne vorsorglich eingepackten Decken und Pullover fanden mit dem Fortschreiten des Abends reißenden Absatz.
Das Essen war diesmal eher rustikal. Rita, die Bootsbesitzerin, kam mit einer riesigen Kiste voller Garnelen und entsprechendem Beiwerk: Brot, Mayonnaise, Backkartoffeln und etwas Obst und Gemüse. Das Boot stand windgeschützt in einer kleinen Bucht und alle durften ihre Garnelen selber pulen und die Abfälle gleich hinter sich ins Wasser werfen. Zum Glück war es zum Baden zu kalt….
Nach dem Essen fuhren wir aufs etwas offenere Wasser zum Fische fangen. Es fanden sich tatsächlich ein paar Interessierte, die die von Andreas mitgeschleppten Angeln ausprobieren wollten. Zwei Fische gingen sogar an die Haken: einer bei Frieder und einer bei Andreas Doktorgradsstudentin. Die wurden dann gleich auf dem Boot gegrillt und verspeist (die Fische natürlich!).
Gegen zehn versammelten wir uns zusammen mit unzähligen anderen Booten rings um die Kuhschäre, auf der ein riesiges Lagerfeuer aufflammte. Nachdem wir es ausgiebig betrachtet hatten, waren alle froh, als wir langsam an Land steuerten. Zu viele Feste hintereinander fordern ihren Tribut.
Den Konferenzteilnehmern ging es also gut, auch fachlich soll die Konferenz ganz interessant gewesen sein. Und damit unsere Kinder nicht die ganze Zeit alleine sein mussten, hatten wir einen „Babysitter“ (oder ein „Kindermädchen“ – auf norwegisch heißt das ganz neutral „Barnevakt = Kinderwache“) organisiert: den deutschen Theologiestudenten Johannes, der im Frühling einen Monat zum Praktikum in Grimstad war. Er freute sich, noch mal nach Grimstad kommen zu dürfen; wir freuten uns, dass die Kinder gut betreut waren und die Kinder freuten sich, denn mit Johannes gab es richtige Ferien: Baden gehen, lesen, Faulenzen, Spiele spielen, und sogar einen Ausflug in den Tierpark nach Kristiansand. Und natürlich waren alle vier am Mittsommerabend auf dem Boot mit dabei. Die Kinder schwärmen jedenfalls heute noch von den schönen Tagen, die sie mit Johannes verbracht haben und Frieder hat ein neues zulässiges Gericht in seinen Speiseplan aufgenommen: Käsesoße a la Johannes.
Der Rest der Sommerferien verlief dagegen ziemlich unspektakulär. Wir waren zu Hause und hatten Gäste. Flora durfte darüber hinaus wieder ins Pfadfinderlager fahren. Diesmal war es das norwegische Landestreffen mit etwa 8000 Teilnehmern. Die zelteten auf einer riesigen Wiese in Ingelsrud, etwa zwei Stunden von Oslo entfernt, wuschen sich im See und hatte eine Woche lang viel Spaß bei schönstem Sonnenschein.
Da gab es eine Flüchtlingstour (Floras Patrouille bestach die „Grenzer“ mit Trinkwasser, musste aber trotzdem stundenlang nach Essen (Tassensuppe) anstehen), Vergnügungsspiele (zum Beispiel „Jungs Küssen“, sich wahrsagen lassen, Luftballons zertreten, Kissenschlacht auf dem Schwebebalken, Schlammkrieg oder „lebensgroße Plüschbären umarmen“) und eine Menge kultureller Großveranstaltungen. Flora kam jedenfalls hundemüde, staubig und schwer zufrieden nach Hause.
Wir hatten uns inzwischen etwas von den Konferenzstrapazen erholt und versuchten nun, Elan für unser großes Sommerprojekt „Renovierung eines 20 Jahre altes Holzhauses, innen und außen“ aufzubringen. Außen mussten wir, denn das Haus ist nur geölt. Das bedeutet, dass es seine wunderschöne goldene Holzfarbe behält, aber leider auch, dass diese Ölung alle zwei Jahre erneuert werden muss, auf der Sonnenseite am besten jedes Jahr. Und dies ist ja schon unser zweiter Sommer, auch hatte der Vorbesitzer direkt vor seinem Umzug nicht mehr geölt.
Innen wollten wir, denn auch nach zwei Jahren sah man immer noch, wo unsere Vormieter ihre Möbel stehen und die Bilder an den Wänden hängen hatten, wir waren ja damals bloß eingezogen, ohne irgendetwas zu verändern. Nun war es an der Zeit, das Haus wirklich zu unserem zu machen.
Ratlos musterten wir die drei hohen Giebel, standen zwischen Regalen voller Holzölsorten und fragten uns, wie wir das nur hinkriegen sollten. Andreas war zwar bereit, seinen ganzen Sommerurlaub für diese Projekte zu opfern, aber es sah nicht so aus, als ob wir wenigstens einen Teil, nämlich das Haus von außen, in dieser Zeit schaffen würden.
Zum Glück fand sich ein kundiger Norweger, ein Kollege von Andreas, der gerade neu gebaut hatte und sein Haus streichen ließ. Nach eingehender Beratung und mehrfacher Durchforstung der Familienfinanzen fanden wir, dass wir große Lust hatte, das Haus ölen zu lassen, statt selber zum Pinsel zu greifen. Und es hat sich gelohnt. Staunend schauten wir zu, wie das Haus gewaschen und geschrubbt wurde. Dann trocknete es einige Tage und bekam einen schönen gleichmäßigen goldenen Anstrich. Andreas war trotzdem voll beschäftigt, mit all den Vor- und Nacharbeiten und dem Besorgen neuen Öls und dem Betreuen der Maler. Um überhaupt Malen zu können, mussten wir ja erst einmal alles abschrauben und Wegräumen, was sich an oder in der Nähe der Hauswände befand. Und da befindet sich eine Menge! Nicht nur Namensschild und Klingel, auch stapelweise Lampen, Wasserschläuche und vor allem unser gesamter Wintervorrat an Holz, Kaninchenkäfige, Thermometer, Wäscheleinen, Windspiele, Blumenkästen… Knapp zwei Monate nach der Ölerei haben wir es tatsächlich geschafft, das Meiste wieder an seinen Platz zu bringen. Sogar das Holz.
Für die innere Erneuerung hatten wir schon seit Weihnachten Pläne geschmiedet und heiße Diskussionen geführt. Im Januar sprachen wir mit einer Farbberaterin, die zu uns nach Hause kam und uns Ratschläge gab, was für eine Art Farbe man auf den alten Stofftapeten benutzen kann und welche Farbtöne sich mit unserer seltsam graugrünen Auslegeware vertragen würden. Wir wurden uns dann schließlich ziemlich schnell einig, als es im Februar „steuerfreie Tage“ im Farbenladen gab (da hier die Mehrwertsteuer immerhin 25% beträgt). Lisanne, die für farbige Wände plädierte, wurde vom gesamten Rest der Familie überstimmt, und so kauften wir 50 Liter weiße Farbe mit dem schönen Namen: Eiweiß. Und etwas zartblassgrünes für die Küche. Und weiße wasserfeste Farbe für die Bäder. Und Grundierung und Ölfarbe für dunkelbraune Schiebeschranktüren. Und Pinsel und Rollen und Spachtel und so weiter.
Danach holten wir den Grundriss heraus und schoben Papiermöbel. Wer sollte welches Zimmer bekommen? Welche der vorhanden Möbel konnten dort stehen? Das Ergebnis erforderte ein weitgehendes Überschreiten unseres ursprünglichen Renovierungsbudgets und einen Zimmermann. Mitten in der großen Stube wurde eine Wand gezogen. Die Hauswand bekam ein großes Loch und wir, als alles fertig war, ein neues wunderschönes großes und helles Schlafzimmer.
Unsere Wohnung ist nun in eine ruhige (Erwachsenen-) und eine lautere Kinderseite eingeteilt, allerdings ziehen die Kinder die ordentliche und ruhigere Seite als Aufenthaltsort vor, was der Ordnung und Ruhe auf dieser Seite gar nicht gut bekommt.
Vielleicht sollten wir noch erwähnen, dass der Zimmermann natürlich in der gleichen Woche wie die Maler Zeit hatte, dass das die Woche war, in der die Oma zu Besuch kam und dass wir versuchten, die Innenmalerei in einer Art Hau-ruck-Aktion zu lösen. Als die Oma und die Handwerker fort gingen, hatten wir immerhin jeder ein Bett innen im Haus (zeitweise hatten wir das Zelt im Garten als Ersatzschlafzimmer benutzt), ein elegantes neues weißes Wohnzimmer mit weißen Möbeln aus unseren Beständen und einer zwei Meter hohen Bastgiraffe vom internationalen Markt im Nachbarort sowie ein unüberschaubares Chaos von teilweise beschrifteten Umzugskisten, die sich in den drei noch nicht renovierten Räumen aufstapelten.
Nach und nach schafften wir es, wenigstens die Anziehsachen auszugraben. Andreas baute fleißig am Schiebetürschrank im neuen Schlafzimmer, so dass wir sogar unsere Sachen einräumen konnten und ganz zufrieden waren. Dann gingen allerdings die Ferien zu Ende, die Schule fing wieder an – und Frieders Ranzen war irgendwo im Kistenchaos begraben! Von den restlichen Schul- und Spielsachen mal ganz zu schweigen. Das meiste haben wir inzwischen wieder gefunden. Aber es ist nicht so leicht, alles wegzuräumen, weil wir diesmal gründlich alle Zimmer und Möbel und Schrankinhalte umgeordnet haben, so dass alles einen neuen Platz bekommen muss, an den sich hinterher auch noch jemand erinnern soll.
Natürlich haben wir nicht den ganzen Sommer renoviert und gemalert. Wir hatten ja auch noch Gäste. Erst kam Lisannes Cousin mit seiner Tochter. Dann die Oma. Dann, als wir völlig k.o. vom Bauen in Gamle Hellesund ausspannten, sich ganz selbständig versorgende Freunde von Freunden. Und zum Schluss Andreas Bruder mit Frau und Kind und ohne Hund.
Auf diese Weise bekamen die Kinder doch etwas Ferien und wir die Gelegenheit, ab und zu mal frische Luft zu schnappen. Mit Hannes waren wir in Homborsund und er mit allen Kindern im Dyreparken. Mit der Oma waren wir baden, die Nordsee war dieses Jahr wunderschön warm und fast quallenfrei. Andreas zog mit seinem Bruder umher, zum Beispiel Wandern und zum Angeln. Der größte Fisch, den sie dabei gefangen haben, war Andreas, der mit einem Haken in der Hand nach Hause kam. Es sah schrecklich aus, aber nachdem sie den Widerhaken abgeschnitten hatten, konnte man den Rest ganz einfach rausziehen und es heilte schnell und gut. Seitdem haben wir auch Wunddesinfektion im Schrank stehen, man weiß ja nie, wofür es gut ist…
Frieder schaffte es irgendwie, nicht nur zu allen privaten Ausflügen der Gäste mitgenommen zu werden, sondern auch noch bei deren Mahlzeiten mit dabei sein zu dürfen - andere Leute haben natürlich immer besseres Essen als die eigenen Eltern.
Ja, und dann war da noch das eine fantastische Konzert, das Hannes (www.12morgen.de) für uns gab und das andere, das er mit allen vier Kindern vorbereitete, und Badeausflüge und Spaziergänge und die vielen Grillabende am neuen Grill und massenhaft Gespräche und bestimmt noch viel mehr, das schon wieder in Vergessenheit geraten ist.
Andreas Hauptfreizeitbeschäftigungen sind, neben Renovieren und Reparieren, weiterhin der Garten und das Angeln. Lisanne hatte sich auch wieder gärtnerisch als Terassenbepflanzerin versucht, aber dieses Jahr mit noch geringerem Erfolg als letztes. Von den vielen in die fünf Blumenkästen eingesetzten Zwiebeln entschlossen sich immerhin sieben Pflanzen, zu wachsen und zu blühen. Die von Andreas im Gewächshaus vorgezogenen Blumen sind Mitte September immer noch nicht mehr als fünf Zentimeter hoch und die von Lisanne für idiotensicher gehaltene Kapuzinerkresse wuchs erst gar nicht, dann schnell, blühte kurz und vertrocknete im Rekordtempo trotz eifrigsten Gießens. Auf der Samentüte stand, dass es rankende Pflanzen seien, allerdings sind sie nie lang genug geworden, um sich irgendwohin ranken zu können.
Andreas dagegen war diesmal viel erfolgreicher als voriges Jahr. Das eigentlich als Gemüsebeet vorgesehene Stückchen Erde zeichnete sich auch dieses Jahr wieder durch extreme Widerstandsfähigkeit aus, trotz regelmäßigen Gießens sind die Pflanzen wieder nicht größer als zwei Zentimeter geworden. Aber im Gewächshaus wuchern die Tomaten oben aus der Dachluke obwohl sie voll mit Früchten hängen, wir hatten mehr Salat und weißen Rettich als wir essen konnten, der neue Kartoffelacker gedieh prächtig und auf dem vom vergangenen Jahr ernteten wir immerhin eine Riesenzucchini und vier richtige, echte mittelgroße lila Kohlrabis. Die unzähligen Beerensträucher trugen, an ihrer winzigen Größe gemessen, reichlich Früchte und die kleinen Kirschen haben wir dieses Jahr gar nicht alle abgeerntet.
Aber Andreas große Leidenschaft ist weiterhin das Angeln. Lisanne findet das inzwischen immer merkwürdiger, spätestens seit Andreas graugrün im Gesicht und völlig geschwächt von einer etwas windigeren Bootstour zurückkam, aber Andreas lässt sich von so ein bisschen Seekrankheit oder Angelhaken in der Hand nicht bremsen. Schon gar nicht im August, wenn die Makrelen reif sind. Auf Gamle Hellesund, Ende Juli, waren sieben Makrelen an einem Tag ein riesiger Erfolg, Ende August waren vierzehn eine Niederlage. Das spektakulärste Fangergebnis lag bei fünfunddreißig… Das sind natürlich Fangergebnisse vom Boot aus. Zum Glück gibt es einen neuen deutschen Professor an der HiA, und der hat eins. Dafür besitzt Andreas die Kenntnisse über das Fangen und Filetieren von Fischen, was zu einer gelungenen Symbiose führt. Außerdem ist unser neuer, wie ein Ofenrohr mit Deckel aussehender Grill nicht nur ein Grill, sondern auch ein Räucherofen. Selbst gefangene frisch geräucherte Makrele schmeckt herrlich, das können wir Euch versichern.
Damit wir es uns auch einmal zusammen als Familie richtig gemütlich machen, lieh Andreas eines schönen Sonntag das Boot aus und uns fünf ein. Leider war uns das Wetter nur bedingt hold. Es wehte so stark, dass Frieder große Schwierigkeiten hatte, das Boot zwischen den Klippen im Fahrwasser zu halten, während Andreas mit den beiden Großen die Fische aus dem Wasser zog. Lisanne saß schreckensstarr daneben. Flora musste dringend aufs Klo, aber das Boot hatte keins. Schließlich fuhr Andreas die nächstbeste Schäre an und versuchte, in einer kleinen Bucht voller großer Steine nahe genug ans Ufer zu kommen, damit Flora aussteigen konnte. Schon beim vierten Versuch gelang es, und Floras verzweifeltes Wimmern hörte endlich auf. Alle verließen erleichtert das Boot und wir machten es uns auf einem großen Felsblock mit Wasserflasche und Keksen gemütlich. Es sah so aus, als ob sich Andreas Wunsch von einem vergnüglichen Familienausflug nun endlich erfüllen konnte. Die Sonne schien, das Plätzchen lag im Windschatten, ringsum war Stille bis auf Wind, Wellen und „Die Ziegen!“ Lisanne hatte sie zuerst gesehen, eine ganze Herde der als Mähmaschinen eingesetzten Schärenziegen. In Nullkommanichts waren wir mit Mann und Maus und Keks und Wasser im Boot, Felix schaffte es gerade noch, die Leine zu lösen und auf das Vordeck zu springen, bevor die ersten neugierigen Nasen sein Hinterteil erreichten. Angeblich sollen die Ziegen ganz freundlich sein, von ihrer großen Vorliebe für anderer Leute Picknickkörbe mal abgesehen, aber Vorsicht ist die Mutter der Weisheit, fanden wir jedenfalls. Danach fing Andreas noch drei Makrelen, und dann durften wir endlich wieder nach Hause fahren.
Inzwischen ist die Makrelensaison vorüber und Andreas hat sich auf Pilze umgestellt. Felix brachte von seinem Schulweg durch den Wald immer mal wieder das eine oder andere gut ausgewachsenen schmackhafte Exemplar mit, bis Andreas es nicht mehr aushielt und selber auf die Jagd ging. Letzten Sonntag war er morgens mit Felix im Wald hinter unserem Haus und kam mit genug Pilzen für eine große Pfanne voll zurück. Dieses Wochenende fuhren wir an unsere Pilzstelle vom letzten Jahr, am Ortsrand von Grimstad. Nach einer Stunde waren wir zurück, mit einem randvollen Korb voller Butterpilze, Steinpilze, Birkenpilze und Pfifferlinge. Diesmal war es genug zum Einfrieren, für Pilzschnitzel, gebratene Pilze und für Suppe. Und das für zwei Tage.
Nun freut sich Andreas schon darauf, dass bald die Kohlsaison beginnt und wir wieder Sauerkraut machen können.
Überhaupt hat sich unsere Versorgungssituation deutlich verbessert. Gummibärchen bekommen wir säckeweise von den Besuchern, saure Gurken durfte Lisanne mit ihrer norwegischen Freundin selber herstellen, und die neu eröffnete Lidlkaufhalle hat massenhaft den Norwegern unbekannte Dinge, die das deutsche Herz begehrte: Früchte- und Kräutertee, Säfte verschiedenster Art, passierte Tomaten (Pomidoro), Puddingpulver, Thunfischsalat mit ganz, ganz wenig Zucker, gewöhnliche Salamipizza, richtige Brötchen und sogar Croissants. Nur Sauerkirschen und Carokaffe haben sie nicht, aber das kann ja noch kommen. Lisanne fühlt sich inzwischen wie ein Reklamevertreter für Lidl, wenn die Norweger sie fragen, ob wir dort einkaufen und wenn ja, was. Da gibt es nämlich so viele merkwürdige Dinge, von denen sie nicht wissen, was das ist und wie es schmeckt… Im Sommer waren tatsächlich immer mehr Deutsche bei Lidl als Norweger, aber inzwischen hat sich das Verhältnis normalisiert. Im Übrigen kaufen wir weiterhin hauptsächlich in der gewöhnlichen norwegischen Kaufhalle ein, denn Lidl hat zwar vieles, was es woanders nicht gibt, dafür aber auch vieles nicht, was es woanders gibt und was wir so als Grundnahrungsmittel benutzen.
Da wir den Kindern zu Beginn des Sommers Jahreskarten für den Dyreparken in Kristiansand gekauft hatten, mussten wir uns natürlich immer wieder die Bitte anhören, mit ihnen dorthin zu fahren. Der Park ist eine Mischung aus großzügigem Tierpark und Freizeitpark. Die Eltern hatten nicht so übermäßig große Lust und verschoben den Ausflug immer weiter nach hinten, bis es überhaupt nur noch eine Möglichkeit gab. Ende August öffneten all die Sommerattraktionen zum letzten Mal für dieses Jahr. An diesem Tag befand sich Andreas auf dem Weg nach Finnland, also musste Lisanne. Glücklicherweise wollte der neue deutsche Professor mit seinen beiden Söhnen mitkommen. Wir fuhren bei schönstem Sonnenschein los. Leider wahrte diese Idylle nur, bis die Kinder das fünfte Mal mit der Holzstamm-Wasserrutsche gefahren waren. Danach goss es eine halbe Stunde lang in Strömen, später noch einmal eine halbe Stunde und dann ging das Wetter zu Dauernieselregen über. Zu allem Unglück hatten wir uns auch noch getrennt und erst nach ewig langer und nasser Sucherei wieder gefunden, was aber die Lust der Kinder, Wasserrutsche zu fahren und Spukschlösser zu besuchen, in keiner Weise beeinträchtigt hatte. Erleichtert sahen wir das Ende der Öffnungszeit nahen, wo wir dann endlich unser gut geheiztes Auto besteigen und darin etwas trocknen und auftauen durften. Sind wir froh, dass der (Tierpark)Sommer jetzt vorbei ist!
-ENDE-