Wir leben - weiterhin - gut

 

Mit ein wenig schlechtem Gewissen setzen wir uns nun nach fast zwei Jahren doch mal wieder an den Rechner, um einen neuen Bericht zu schreiben. Die Nachfrage hörte einfach nicht auf, und es gibt ja doch immer wieder etwas zu erzählen. Nein, langweilig ist es bei Familie Prinz wirklich nicht. Nie.

 

Brillenschlangen

(Hierbei handelt es sich um ein Stück Bericht, das im Sommer 2006 geschrieben wurde, leider blieb es bei diesem einen Abschnitt.)

Irgendwann im frühen Sommer (2006) stellte Lisanne fest, dass etwas mit Frieders Augen nicht ganz in Ordnung ist. Er konnte nämlich die Schilder auf der anderen Straßenseite nicht lesen. Also bestellte sie einen Termin beim Kinderarzt. Der machte einen kurzen Sehtest, meinte, ja, der Junge braucht `ne Brille und schickte uns zum Optiker. In Norwegen geht man nämlich nicht zum Augenarzt, jedenfalls nicht, wenn man eine Brille braucht. Beim Optiker hatten sie dann auch alle nötigen Geräte und eine entsprechend ausgebildete Fachkraft. 

Frieder ist nicht nur kurzsichtig, sondern hat auch noch eine Fokussierungsschwäche – das bedeutet, dass er die Augen furchtbar anstrengen muss, um im Leseabstand scharf sehen zu können. Falls die Brille dagegen nicht hilft, müssen wir mit ihm Augentraining machen. Vielleicht reicht es ja auch, wenn er aufhört, im Dunkeln zu lesen.

Auf jeden Fall suchten wir also eine Brille aus. Lisanne war guten Mutes, denn ihre Freundin hatte gesagt, dass es für Kinderbrillen etwas Geld von der Krankenkasse zurück gibt. Das stellte sich allerdings als falsch heraus, es gilt nur für schielende Kinder, aber nicht für ganz normal kurzsichtige. Billigbrillen wie in Deutschland gibt es hier auch nicht, die Gläser, die Arbeit und die Augenuntersuchung werden alle extra berechnet, und so läuft Frieder jetzt mit - immerhin sehr schicken – 350 Euro auf der Nase herum.

Wir hatten die Brille an einem Freitag Nachmittag vom Optiker abgeholt. Frieder setzte sie auf und nicht wieder ab, und auch uns kam es so vor, als ob er schon immer damit herumgelaufen wäre.

Umso größer war die Überraschung, als Frieder am Montag nicht in die Schule ging -  wegen Bauch- und Kopf- und sonstigen Schmerzen. Da Felix in der Woche vorher krank gewesen war, nahm ihm Lisanne das erst mal ab, wurde aber im Laufe des Vormittags immer misstrauischer. Schließlich fragte sie Frieder direkt nach dem Grund seines Zuhausebleibens, und siehe da – er traute sich nicht in die Schule, weil er nicht wusste, wie die anderen Kinder auf die neue Brille reagieren würden.

Was nun? Etwas ratlos und beunruhigt rief Lisanne Frieders neue Klassenlehrerin an. Die freute sich, weil wir ihr die Wahrheit gesagt hatten. Dann kam sie mit folgendem Vorschlag für Frieder: <<Morgen kommst Du in die Schule mit der Brille im Ranzen. Nach der Morgenrunde frage ich die Kinder: „Wollt ihr eine Überraschung sehen?“ Da rufen alle „JA!“. Und dann sage ich: „Frieder, pack die Überraschung aus.“ Und Du packst die Brille aus und setzt sie auf. Und dann klatschen alle. Wollen wir das so machen?>>

Natürlich wollte Frieder da mitmachen, ihm war inzwischen auch klar geworden, dass er ja doch eines Tages das erste Mal mit der Brille in die Schule kommen musste, egal, wie lange er zu Hause blieb. Trotzdem war ihm noch sehr mulmig zu Mute. Schließlich kam Lisanne auf die rettende Idee. Wie wäre es mit einem Brillenkuchen? Gefütterte Löwen sind schließlich zahm. Frieder schlug begeistert ein. Mit einer Überraschung und einem Brillenkuchen wollte er am nächsten Tag gerne wieder in die Schule gehen.

Wie immer benutzte Lisanne das gute Fertigkuchenmehl, aber in Anbetracht der späten Abendstunde blieb das ordnungsgemäß abgemessene Öl, das man hier oft statt Margarine zum Backen verwendet, leider außerhalb der Teigschüssel. Der Kuchen sah dann von oben richtig schick aus: eine Riesenbrille aus Schokoladenglasur, umgeben von Massen bunter Streusel, aber er schmeckte seltsam: am Rand wie Schokoladenbrot, in der Mitte nach rohem Teig.

Da weder Zeit noch neue Zutaten vorhanden waren, ging Lisanne das Wagnis ein und gab Frieder die Kuchenattrappe mit. Voller dunkler Vorahnungen wartete sie auf den Nachmittag. Was, wenn die Kinder den Kuchen schrecklich fanden und deswegen auch die Brille und Frieder? Würde der Schaden jemals wieder gut zu machen sein? Durfte sie jemals wieder jemandem erzählen, dass sie eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin absolviert hat? Endlich kam Frieder nach Hause. Zufrieden  berichtete er, dass der Kuchen sehr gut geschmeckt hätte und von allen gelobt worden war. Seitdem ist die Brille kein Thema mehr.

 

Nachtrag 2007: Das Tragen der Brille ist problemlos. Dafür hat sich Frieders Sehstärke soweit verschlechtert, dass wir schon zweimal neue Gläser machen lassen mussten (jedes mal etwa 150 Euro wert). Auch haben wir die Brille schon öfter mal verzweifelt gesucht, zum Beispiel in einer Turnhalle mit 400 Kindern – Frieder hatte sie auf seine Sporttasche gelegt.

Außerdem haben inzwischen alle in der Familie eine Brille: Flora bekam ihre ziemlich bald nach Frieder. Sie wollte zwar keinen Brillenkuchen haben, dafür denkt sie inzwischen über Kontaktlinsen nach.

Felix, der ja schon lange eine Brille trägt, hat sich in den letzten anderthalb Jahren mit einem anderen Schönheitsprojekt beschäftigt: er bekam eine Zahnspange. Obwohl „eine“ Zahnspange längst nicht ausdrückt, was das bedeutete: erst mal hatte er oben eine Platte zum Rausnehmen und unten Drähte. Dann verlor er die Platte und bekam eine neue. Dann war es Zeit, die Zähne oben auch zu verdrahten. Inzwischen sind alle Drähte oben und unten entfernt, um Platz für eine Erhaltungsspange (lose und nur für nachts oben, sowie eine feste oben und unten) zu machen, die er weitere anderthalb Jahre tragen soll, damit nicht alles, was jetzt so schön gerichtet ist, wieder schief wird.

Ganz nebenbei bedeutet das Tragen einer Zahnspange nicht nur aufwendigere Zahnpflege, sondern vor allem auch regelmäßige Besuche beim Kieferorthopäden: alle sechs Wochen zum Nachstellen und zur Kontrolle. In Grimstad gibt es genau einen Kieferorthopäden, der schon auf Jahre hinaus ausgebucht ist. Also bissen wir in den sauren Apfel und ließen Felix im Nachbarort, in Arendal, behandeln. Und Felix, die Gelassenheit in Person, hat es in den letzten anderthalb Jahren tatsächlich gelernt, alleine mit dem Bus zum Kieferorthopäden zu fahren, obwohl man sich dafür an den Termin erinnern, rechtzeitig von zu Hause losgehen, an der Bushaltestelle warten und dem herannahenden Bus ein Zeichen geben muss. Bis er den gesamten Prozess begriffen hatte, mussten wir allerdings einige nicht wahrgenommene Termine bezahlen, von mehrfachen plötzlichen Autosprints nach Arendal mal ganz abgesehen. Aber was tut man nicht alles für ein schönes Lächeln?!

Sportkanonen

Wer den letzten Bericht aufmerksam gelesen hat, weiß, dass wir vor zwei Jahren stolze Besitzer eines Trampolins wurden, das zunächst im Hof und dann im Garten verharrte. Für den Winter muss man es abbauen, und so landete das Trampolin in den folgenden Frühjahren dann doch wieder im Hof, weil keiner Lust hatte, auf das schiefe Ding im Garten zu gehen. Das Trampolin ist weiterhin heiß beliebt; und Flora ist inzwischen richtig trampolinsüchtig. Immer und immer wieder zieht es sie hinaus und sie hüpft und hüpft und hüpft. Im Winter leidet sie schwer und muss stundenlang durch die Wohnung rennen, weil kein Trampolin da ist.

Andreas wollte sie zum Orientierungslauf schicken, um ihrem Bewegungsdrang eine Zielrichtung zu verschaffen, er wäre sogar selber mitgekommen, aber leider trainieren hier die Orientierungsläufer jeder für sich alleine und treffen sich nur bei Wettkämpfen. Und so verlief das Ganze im Sande und das Trampolin ist weiterhin Floras Rettung.

Zum Glück kann man im Winter auch manchmal noch Ski fahren. Langlaufski hatten wir ja schon im ersten Winter für alle geborgt oder gekauft. Nach dem zweiten Winter hatte Felix  genug Konfirmations- und sonstiges Geld für eigene Alpinski zusammen gespart. Zufällig waren wir im Oktober 2005 gerade in Oslo, als der örtliche Skiverein seinen jährlichen Tauschmarkt für gebrauchte Wintersportausrüstungen  abhielt. Statt ins Museum gingen wir also ins Sportlerheim. Felix bekam seine Skier, mit Stiefeln und Helm. Andreas bekam auch welche. Und Frieder wollte ganz dringend Alpinski haben. Konnte man da Flora einfach skilos lassen? Natürlich nicht, und so stapelten wir schließlich fünf Leute, vier Paar Alpinski, vier Helme und vier Paar (riesige schwere) Alpinskistiefel ins Auto.

Später haben wir dann rausbekommen, dass der Mann, der uns im Klub beraten hat, einer der ganz berühmten Skiläufer Norwegens war. Die Skier, die wir dort gekauft haben, scheinen auch von richtig guter Qualität zu sein. Felix Stiefel mussten noch für seine Skier angepasst werden. Der zuständige Mitarbeiter im hiesigen Sportgeschäft nahm die Skier in die Hand und wendete sie ehrfürchtig hin und her. So gute Ware hatte er schon lange nicht mehr in der Hand gehabt! 

Einmal waren wir mit den neuen Skiern schon richtig im Winterurlaub – eine Woche vor Weihnachten 2005 im Skigebiet von Rauland und Vierli, etwa 5 Autostunden über waghalsigste Serpentinen von Grimstad entfernt. Ansonsten nimmt Andreas manchmal (im Winter) am Wochenende den Skibus ins nächstgelegene Skigebiet Gautefall, etwa zweieinhalb Stunden von hier. Wohlwollende Kinder dürfen auch mitkommen. Lisanne weigert sich immer noch standhaft.

Mit regelmäßigen gewöhnlichen Sportaktivitäten sieht es noch ein bisschen dürftig aus. Andreas und Lisanne waren mal zum Swing-Tanzkurs (sechs Dienstagabende), Andreas und Flora gingen eine Zeitlang morgens joggen, von allen Nachbarn bewundert und bestaunt, Felix spielt seit dem letzten Herbst zweimal pro Woche Badminton und Frieder geht jetzt seit fast zwei Jahren zum Turnen. Er kann schon Saltos vom Sprungbrett, Radschlagen, Handstand (fast) und Rollen. Jedes Mal, wenn wir zum Wettkampf oder Weihnachtsturnen gehen, können wir bestaunen, wie viel geschickter er geworden ist.

Theaterratten

Nachdem Felix seine Norwegischabschlussprüfung für die zehnte Klasse voller Glanz und Gloria und Schauspielkunst absolviert hatte, stand für seine Lehrerin fest: er muss Theater spielen. Da besagte Lehrerin gleichzeitig auch Felix Patentante und eine der treibenden Kräfte des Grimstader Theatervereins ist, bekam Felix sofort einen der fast unerreichbaren Plätze in der Jugendgruppe der Theaterwerkstatt angeboten. Und das, obwohl die arme Flora schon seit drei Jahren vergeblich versucht, dort einen Platz zu bekommen.

Felix nahm dankend an und wir haben ihn seitdem schon als Flugkapitän, Schiffbrüchigen, Gott ähnlichen Vertreter eines Würstchenimperiums, Bürgermeister des Blauen Landes und als Einwohner der Smaragdenstadt auf der Bühne bewundern dürfen. Auch vor dem häuslichen Leben machen die Theaterkünste nicht halt, neben improvisierten Stücken mit den Geschwistern werden vor allem empörte oder unberührte Blicke an den Eltern ausprobiert.

Am schönsten aber war Felix` selbst geschriebenes Stück zum Thema „Alles und Nichts“. Es entstand aus einer Hausaufgabe für Norwegisch, in der man fünf Minuten über ein selbst gewähltes Thema sprechen sollte. Felix Ausgangspunkt war ein Witz:

Spezialisten sind Leute, die ganz viel über ganz wenig wissen. Sie lernen immer mehr über immer weniger, und zum Schluss wissen sie Alles über Nichts. Philosophen dagegen wissen ganz wenig über ganz viel. Und je mehr sie sich damit beschäftigen, um so weniger wissen sie über immer mehr, bis sie schließlich Nichts über Alles wissen.

Was lag also näher, als ein paar Philosophen zu diesem Thema zu befragen? Felix spielte einen Moderator und drei verrückte Professoren, die sich die Ansichten zum Thema teilten. Nichts ist zum Beispiel furchtbar gefährlich! Wenn man Nichts isst, dann verhungert man, und Nichts zu trinken ist noch viel gefährlicher!

Auch haben die meisten Menschen ein sehr merkwürdiges Verhältnis zu Nichts: sie sagen zum Beispiel, dass sie Nichts wissen. Das ist aber völlig falsch, denn sie wissen ja etwas: nämlich wie man sagt, dass man Nichts weiß. Oder nehmen wir die Frauen: sie stehen vor dem Kleiderschrank und sagen: ich habe Nichts anzuziehen Und dann ziehen sie gar nicht Nichts an. Und so weiter. Und falls jemand nicht alles verstanden hat, so macht das Nichts.... 

Wenn Flora auch nicht Theater spielen darf, so ist es ihr doch gelungen, ein wenig näher mit der Filmbranche bekannt zu werden. Jedes Jahr im Juni findet ein Kurzfilmfestival in Grimstad statt. Letztes Jahr gab es dabei auch einen Workshop für Schüler – und Flora war dabei und hat einen Zeichentrickfilm produziert.

Außerdem hat sie entdeckt, dass man mit ihrem und Felix Mobiltelefon sowohl kleine Filme als auch Hörspiele aufnehmen kann. Als die Eltern schließlich genug verwackelte Bilder von liebeskranken Barbies gesehen hatten, beschlossen sie, uns als Familie zu Weihnachten eine Videokamera zu schenken. Zwei Filme haben wir schon fertiggestellt: Variationen über ein norwegisches Volksmärchen – natürlich synchronisiert in Deutsch – und einen  Naturstummfilm über den Winter 2007 in Grimstad, malerisch mit Musik von Hannes hinterlegt.[1] Merkwürdig war nur, dass wir von den Märchen begeistert waren, die Zuschauer aber deutlich 15 Minuten Haus, Hof und Garten im Schnee vorzogen! 

Während wir zu Hause nur grobe Ideen für das nächste Filmprojekt haben, besuchte Flora gleich einen ganzen Wochenendkurs, von jungen aber international anerkannten Filmschöpfern für Grimstader Schüler gehalten. Sie ist jetzt total fit in Kameraführung und anderen Fachbereichen, weiss alles über Totale und Halbtotale und Froschperspektive und so weiter.  Nichtsdestotrotz steht sie lieber vor der Kamera als dahinter.

Matheasse

Neben dem Schauspieltalent sind zumindest zwei unserer Kinder auch noch mit mathematischen Fähigkeiten gesegnet. Frieder hat zwar keine Schwierigkeiten mit Mathe, aber er ist auch nicht interessiert daran. Flora dagegen beschwert sich über den langweiligen Matheunterricht und bekommt jetzt ein Extraprogramm. Außerdem freut sie sich schon wie wild auf die neunte Klasse, in der man an kappAbel, einem Mathematik-Klassenwettbewerb (www.kappabel.com), teilnehmen kann. Felix Klasse hatte es vor zwei Jahren ins Finale geschafft, leider war aber das von der gesamten Klasse hergestellte Projekt zu schlecht, um ihnen eine Chance auf den Sieg zu geben. Ansonsten hatte Felix Mannschaft (zwei Jungs, zwei Mädchen) die höchste Punktzahl in allen anderen Kategorien. Andreas arbeitete dieses Jahr als Preisrichter bei kappAbel und beeinflusst nebenbei schon immer mal Floras Mathelehrer, damit er mit den Kindern die Aufgaben der letzten Jahre zur Übung rechnet. Und natürlich hat er dann nächstes Jahr bestes Insiderwissen, was so ein Projekt braucht, um gut bewertet zu werden.

Und Felix erst! Als er in der neunten war, besuchte er die elfte und dann nach ein paar Wochen gleich die zwölfte Klasse in Mathematik, machte ein Jahr Pause, weil es vom Stundenplan nicht passte und wird diesen Sommer das Abitur in Mathe (und Physik übrigens auch) ablegen.

Wie schon voriges Jahr hat er am Abelwettbewerb teilgenommen, das ist die norwegische Variante der Matheolympiaden (siehe auch http://abelkonkurransen.no/indexe.php). Allerdings fängt man hier erst damit an, wenn man 16 ist und die Aufgaben der ersten beiden Runden sind auch ganz anders. Man bekommt 10 Fragen, für die es jeweils 10 Punkte gibt. In der ersten Runde ist es multiple choice, also man muss ankreuzen; in der zweiten Runde gibt es ein Kästchen, in das die richtige Lösung (eine Zahl) eingetragen werden soll. Erst in der dritten Runde, an der nur noch 20 Schüler teilnehmen, wird der Lösungsweg und eventuell der Beweis mit bewertet.

Andreas hat schon vor zwei Jahren begonnen, einen Matheclub anzubieten, um für diese Wettbewerbe zu trainieren. Die Beteiligung war eher mäßig, aber immerhin war Felix ein regelmäßiger Teilnehmer.

Letztes Jahr schaffte er es trotzdem nicht, unter die besten 20 zu kommen, er machte zwei Schusselfehler und ihm fehlten zum Schluss fünf Punkte. Aber dieses Jahr hat er es geschafft! Und nicht nur das. Von den 20 Besten aus Norwegen kam er auf Platz fünf und darf nun im Juli nach Hanoi zur internationalen Mathematikolympiade fahren. So ein Team besteht aus sechs Schülern und zwei Teamleitern, die Olympiade selber dauert nur zwei Vormittage, aber die Reise 9 Tage, natürlich gibt es reichlich Programm rundherum mit Ausflügen und  anderen vergnüglichen Dingen.

Ganz nebenbei ist Felix noch zu einer internationalen Sommerschule für Mathematik eingeladen worden, die aber leider mit der IMO kollidiert. Außerdem darf er  an einer Videouniversität im Programm für die 12 besten Mathetalente Norwegens mitmachen. Das stellt allerdings auch die Eltern vor Herausforderungen. Wahrscheinlich müssen wir jetzt doch einen eigenen Computer für Felix besorgen, und nicht nur irgendeinen, sondern einen, der auch noch alle die exotischen Videoschulanforderungen erfüllt.

Andererseits ist das vielleicht ganz gut, denn der Platz auf dem Flur, halb in der Küche, wo jetzt der Familiencomputer steht, ist vielleicht doch nicht so überragend gut geeignet, um an Videokonferenzen teilzunehmen. Da sehen die anderen Teilnehmer dann Felix, während hinter ihm Schatten vorbeihuschen und in der Küche die Töpfe klappern, Flora nachfragt, ob sie jetzt endlich an den Computer darf und aus dem Wohnzimmer hört man Frieder Klarinette üben.

Ersatzeltern

Eines der unlösbaren Probleme unserer Ehe besteht darin, dass Andreas schon immer vier Kinder haben wollte, Lisanne dagegen nach dreien in den Generalstreik getreten ist. Ein erster Lösungsversuch für dieses Problem bestand darin, ein Patenkind von Worldvision (www.worldvision.de) anzuschaffen. Wir entschieden uns für ein Mädchen namens Scolastica aus Tansania, damals vier, inzwischen neun Jahre alt.

Jeden Monat bezahlen wir 30 Euro für das Projekt, in dem ihr Dorf liegt. Von dem Geld werden Brunnen angelegt, Schulen gebaut,  Krankenschwestern ausgebildet, die Bauern werden in etwas effektiverem Landbau, zum Beispiel mit Bewässerung, geschult. Das alles geschieht in enger Zusammenarbeit mit der Lokalbevölkerung. Ziel des Projektes ist es, nach etwa 15 Jahren mit der Hilfe aufzuhören und eine Gegend zu hinterlassen, in der keiner mehr hungert und eine grundlegende schulische und medizinische Versorgung gesichert ist.

Zusätzlich zu dem monatlichen Beitrag darf man noch Briefe an das Patenkind schreiben, kleine Geschenke  schicken und gelegentlich eine Sonderspende, die direkt der Familie des Kindes zugute kommt. Die Sonderspenden, die wir gemacht haben, wurden unter anderem für ein Moskitonetz, Schuhe, ein Kleid, ein Bett mit Matratze, eine Nähmaschine und Haustiere verwendet. Das Spenden geht ganz einfach, denn man muss nur bei Worldvision Bescheid sagen und sie buchen den Betrag vom Konto ab. Schwieriger ist es mit dem Briefe schreiben. Was schreibt man da, und vor allem: wer schreibt diese Briefe? Wer macht sich Gedanken darüber, was ein kleines Mädchen in Tansania erfreuen könnte? Wer besorgt gefütterte Briefumschläge und denkt daran, sie mindestens sechs Wochen vor dem erwünschten Zustellungstermin abzuschicken? Wer klappert Spielzeugläden nach Spielzeug ab, das klein und flach ist und einem Kind, das kaum genug zu essen hat, vergnüglich erscheint?

Aus irgend einem mysteriösen Grund hat es sich in unserer Familie eingebürgert, dass hauptsächlich Lisanne für Kontakterhaltung, schriftliche wie mündliche, zuständig ist. Flora kann das inzwischen auch schon gut für ausgewählte Empfänger. Aber die anderen? Ehe man sie überzeugt, angeleitet und so lange erinnert hat, dass der Brief wirklich geschickt werden kann,  ist schon ein Vierteljahr verstrichen. Und so kommt es, dass Lisanne jetzt drei Kinder zu Hause und eins in Tansania hat.

Und dann suchte im August 2006 die Lokalzeitung dringend Gasteltern für Austauschschüler aus aller Welt, die ein Jahr High School in Norwegen erleben  und Norwegisch lernen wollten. Innerhalb von drei Tagen waren alle nötigen Formulare ausgefüllt, wir hatten versprochen, dass wir zu Hause ab sofort Norwegisch sprechen und damit eine neue Tochter beantragt. Eine Woche nach Erscheinen des Artikels standen wir in Kristiansand am Flughafen und holten unser neues Kind ab: die 15-jährige Yuxin (sprich in etwa: Üchin) aus China.

Vielleicht sollten wir an dieser Stelle noch kurz anführen, dass zwei Tage vorher die Oma aus Cottbus zu Besuch gekommen war und Lisanne ganz plötzlich und kurzfristig eine Halbtagsstelle angeboten bekommen hatte, die sie in der darauf folgenden Woche antreten sollte, mal ganz abgesehen davon, dass wir zwischendurch unsere Bibliothek ausräumen und in ein zusätzliches Kinderzimmer verwandeln mussten. Das Chaos war also perfekt! Das hielt uns aber nicht davon ab, gleich am Tag nach Yuxins Ankunft die gesamte neue große Familie inklusive Oma in ein berühmtes Blaubeergebiet zu verfrachten,  nur drei kurze Autostunden von Grimstad entfernt. So etwas nennt man wahrscheinlich Feuertaufe.

Insgesamt funktioniert unser Familienleben auch zu sechst gar nicht schlecht. Yuxin ist nett, fleißig, höflich, intelligent; alles in allem ein angenehmer Mensch. Der Teufel steckt hier, wie bei so vielen Sachen, im Detail oder genauer: in den Kulturunterschieden. In Yuxins China scheint man zum Beispiel seine Kleidungsstücke, auch Jeanshosen und ähnliches,  mindestens einmal täglich zu wechseln, aber nicht zu lernen, wie man Wäsche wäscht. Außerdem hat Yuxins Familie eine Haushaltshilfe, die zwei mal in der Woche die gesamte Wohnung aufräumt und putzt. Ansonsten gibt es eine Großmutter, die kocht und Eltern, die fast immer arbeiten sind. Das letzte Schuljahr war Yuxin im Internat, weil die beste Schule der Stadt zu weit von ihrem Wohnviertel entfernt liegt. Das war allerdings ein Vorteil: das Leben in unserer Familie erinnerte sie sehr an das Internat. 

In China werden die Kinder dazu erzogen, älteren und weiseren Menschen nicht zu widersprechen. Das hört sich ganz fantastisch an, schon alleine deshalb, weil wir plötzlich als weise gerechnet werden. Praktisch ist es aber nur halb so toll, denn dass die chinesischen Kinder nicht nein sagen, bedeutet noch lange nicht, dass sie auch machen, was ihnen gesagt wurde. Zum Beispiel hatten wir ein gebrauchtes Mobiltelefon besorgt und fragten Yuxin, ob sie es für das Jahr in Norwegen benutzen will. „Ja“ war die Antwort und daraufhin versuchte Andreas, Lisanne in die Stadt zu schicken um einen Vertrag für das Telefon abzuschließen (man muss dazu über 18 sein). Lisanne weigerte sich mit der Begründung, dass Yuxin das Telefon nicht haben wolle. Es kam zum Streit, der kurz unterbrochen wurde, weil Yuxin vorbei kam: Sie erklärte, das sie jetzt in die Stadt gehen und sich ein  Mobiltelefon kaufen wolle! Am nächsten Tag berichtete sie, dass es für sie nicht günstig ist, ein Telefon hier zu kaufen, weil es keine chinesischen Schriftzeichen beherrscht und damit in China nicht zu gebrauchen ist. Dann bat sie darum, das andere Telefon  anschauen zu dürfen, nahm es diesmal wirklich in die Hand und in Augenschein und entschied sich dafür, dass es akzeptabel sei. Inzwischen hat sie ein anderes gebrauchtes Handy, weil jenes erste irgendwo in den Tiefen des norwegischen Winterschnees verschollen ist. 

Ein Austauschschüler ist wirklich empfehlenswert, weil man Dinge über sich und die Welt lernt, die man sich nie hätte träumen lassen. Zum Beispiel sind alle unsere Kinder total fit in Englisch geworden, denn Yuxin konnte erst im Frühjahr soweit norwegisch, dass wir englisch nicht mehr regelmäßig benutzen mussten. Wir haben auch gelernt, Gerichte zu kochen, die in etwa an chinesisches Essen erinnern, selbst wenn wir sie normalerweise mit zu viel Gemüse zubereiten. Eine von Yuxin servierte „Chinapfanne“ enthält weißen Reis, Rührei und Wurststückchen. Wir haben sogar Sushi selber gemacht – allerdings nur mit Gemüse und Räucherlachs als Füllung.

Überhaupt hatten wir die Chance, mal einen Blick auf uns und unser Familienleben von außen zu werfen. Was ist uns wichtig, wie benehmen wir uns? Was essen wir und wie? In China schlürft man zum Beispiel, wenn es einem schmeckt. Ist das nun aus Gastfreundschaft zulässig oder nicht? Essen wir ab sofort weißen Reis, oder muss sie sich an den braunen gewöhnen? Warum glauben wir, dass brauner Reis und Vollkornbrot gesund ist? Wieso muss man viel Obst und Gemüse essen? Warum trinken wir zum Essen?

Was sind die Grundregeln unseres Familienlebens, an die sich alle halten müssen? Was sind die unausgesprochenen Regeln, die aber jeder beachtet? Zum Beispiel: wenn Mama erschöpft ist, lässt man sie in Ruhe. Die Chinesin hatte natürlich Null Ahnung von solchen Familienheimlichkeiten und Lisanne durfte lernen, laut und deutlich ihre Meinung und ihre Bedürfnisse zu vertreten.

Natürlich hat auch Yuxin dazugelernt. Sie kann jetzt einfache Gerichte kochen, ihr Zimmer putzen und sogar ein bisschen Fahrrad fahren. Sie weiß, dass man sich abmelden muss, wenn man nicht zur gewohnten Zeit zu Hause erscheint und dass man erklären können sollte, wann, wohin und mit wem man geplante Ausflüge verbringen möchte, wenn man sie genehmigt bekommen will. Auch macht es ihr nichts mehr aus, vorne im Auto zu sitzen, obwohl in China das nur Chauffeure tun und alle Menschen, die etwas bedeuten, hinten sitzen, wo es sowieso viel sicherer ist. An die ungetönten Scheiben unseres Autos hat sie sich schnell gewöhnt, aber das war nicht so schwer, weil es in Norwegen so wenig Leute gibt, die ins Auto unterwegs hineinschauen können.

Am Anfang haben wir auch versucht, etwas chinesisch zu lernen, aber das haben wir schnell wieder aufgegeben. An die Schriftzeichen kann man sich vielleicht nach einer Weile gewöhnen, aber mit der Aussprache war es hoffnungslos. Der Einzige, der halbwegs klar kam, war Frieder. Der hat nämlich ein musikalisches Gehör und konnte somit herausfinden und wiedergeben, ob der gefragte Vokal an dieser Stelle aufwärts, abwärts, gleichbleibend oder erst ab- und dann aufwärts gesprochen werden musste. Immerhin können wir jetzt alle mehr oder weniger gut mit Stäbchen essen.

Unsere Kinder sind erstaunlich gut damit klargekommen, ihr Leben mit einem weiteren Familienmitglied zu teilen. Nur in der Anfangsphase gab es ein paar Eifersuchtsszenen, als Lisanne noch automatisch (wenn auch immer selber leicht verwundert) auf jede Forderung von Yuxin reagiert hat. Lisanne musste erst lernen, dass man diese abweisen kann, auch wenn sie mit einer großen Selbstverständlichkeit vorgetragen werden. Dafür vergießt Flora jetzt schon Tränen, weil Yuxin Ende Juni abreisen muss. Yuxin selber ist auch nicht so recht begeistert, zu groß sind die Freiheiten der norwegischen Schüler, als dass sie sich nach den chinesischen Bedingungen sehnen würde.

Unsere Ehe hat an Austausch und Verständnis gewonnen, denn wir waren unablässig gezwungen, uns über Ansprüche und Regeln und Gefühle und eine Menge praktischer Fragen zu unterhalten. So etwas führt gelegentlich zu ganz neuen Erkenntnissen. Wir fanden zum Beispiel heraus, dass es einen Unterschied für die Haushaltskasse macht, ob man fünf oder sechs Menschen davon ernährt. Das fällt vielleicht nicht weiter auf, wenn man ein Wochenende Gäste hat, aber doch, wenn man das für 30 mal drei Mahlzeiten im Monat tut.

Workoholiker

Nachdem Andreas im Sommer 2005 eine erste Konferenz ausgerichtet hatte, machte er in derselben Weise gleich weiter. Und so gab es auch im Sommer 2006 und 2007 jeweils eine Konferenz in Grimstad. Inzwischen haben sich allerdings die Bedingungen erheblich verschlechtert. Während 2005 noch eine halbe Sekretärin für Andreas da war, war es 2006 nur noch eine 20%ige und 2007 gar keine mehr. Es gab dann immerhin eine stundenweise Unterstützung für die Vorbereitung der Konferenz. Das spiegelt auch die norwegische Einstellung zu Sekretärinnen wider: Jeder sollte seine eigene Arbeit machen, und keinem anderen sagen, was er zu tun hat. Das ist natürlich schwer mit einem Sekretariat vereinbar. Uns ist immer wieder aufgefallen, dass die Service-Mentalität in Norwegen sehr spärlich ausgeprägt ist. Die meisten Leute wissen selber, was man wie machen soll, und lassen sich nicht von den Wünschen der Kunden beeindrucken. Dann ist es immer erholsam, eine wirklich serviceorientierte Einrichtung zu besuchen. Eine solche ist das Strand Hotel Fevik – dort hatten wir das Konferenz-Dinner 2005 und 2007. Und jeden Sommer gibt es dort zwei Konzerte, in denen junge norwegische Talente zeigen, was sie können.

Ansonsten besteht Andreas Arbeit aus Forschung und Lehre – nichts Besonderes: Vorlesungen und Übungen vorbereiten und halten, Artikel schreiben, Konferenzen besuchen und Studenten betreuen. Mehr und mehr gibt es auch Projekte, weil Andreas auch mehr Leute aus den diversen umliegenden Firmen kennt. Und da gibt es dann mehr (Doktorgrads-)Studenten und Forschungsarbeit und Projekttreffen. Und Andreas darf dann in Norwegen herumreisen: nach Oslo, Bergen, Stavanger und zu vielen anderen Orten, deren Namen wir vorher noch nie gehört hatten.

 

Letztes Jahr im August ergab sich dann auch für Lisanne endlich mal die Gelegenheit, ein wenig arbeiten zu gehen. Die Vermittlung erfolgte über Mund-zu-Mund-Propaganda, eine deutsche Freundin hatte den Job abgelehnt, da sie schon einen anderen hatte und an Lisanne weiter verwiesen. Offenbar hatte sie gute Werbung gemacht, denn der Chef wollte nicht mal Lisannes Lebenslauf sehen, bevor er sie anstellte. Das Ganze war eine Halbtagsstelle für drei Monate, bei der Lisanne auf deutschen Webseiten lesen sollte, was Kunden über die Produkte einer bestimmten, hier nicht näher genannten Firma denken. Die gefragten Produkte waren vor allem in der Küche und im Bad genutzte große, elektrische Maschinen. Leider erwiesen sich die Deutschen als nur bedingt informationsfreudig, sie wollen Infos haben, aber erzählen wenig über sich selber. Engländer und Amerikaner sind da ganz anders! Die schreiben schon mal ein Internettagebuch, das von der Idee des Neukaufs über die Entscheidungsfindung, Bestellung, Lieferung bis zu den ersten Benutzungsergebnissen haarklein berichtet. Manche stellen sogar Videos rein, in denen man ihrer Waschmaschine beim Waschen zugucken kann.

Aber auch in Deutschland lohnt es sich, ins Internet zu schauen, wenn man seine Küche einrichten will (chefkoch.de) oder was zum Reparieren hat (teamhack, elektronikforum und so weiter). Geschirrspüler sind meistens nur verdreckt (um genauer zu sein: von innen verfettet); und bei Waschmaschinen sind öfter mal die Kohlen am Motor schneller dahin als andere Teile, diese lassen sich aber billig und einfach reparieren – falls man sich traut, seine Maschine selber auseinander und wieder zusammen zu schrauben.

Ansonsten arbeitet Lisanne seit zwei Jahren für zwei Stunden pro Woche als Hausaufgabenhilfe für Einwandererkinder. Die Kinder habe Spaß dabei und lernen etwas – und Lisanne geht es genauso.  Manchmal ist es natürlich ganz schön traurig zu sehen, wie das Schulsystem darin versagt, auf die besonderen Bedürfnisse dieser Kinder einzugehen und ihnen mehr beizubringen als geistloses Ausführen von Regeln oder Wiederholen von unverstandenen Phrasen zu Dingen, von denen sie keine Ahnung haben. Aber das ist wohl überall so, wo Geld und damit Zeit knapp sind.

Um besser zu verstehen, wie man gut unterrichtet, nicht zuletzt aber auch, um einen norwegischen Abschluss und eine pädagogische Qualifikation zu haben, hat Lisanne sich für ein pädagogisches Teilzeitstudium ab Herbst an der HiA in Kristiansand beworben und ist angenommen worden. Da haben wir also ab Herbst einen Studenten im Haus.

Geburtstagskinder

Geburtstage sind eigentlich nicht so etwas besonderes – jeder von uns hat einen davon, und das jedes Jahr.  Felix ist im Oktober 16 geworden und stolzer Besitzer eines richtigen deutschen Passes, gefeiert hat er mit Spielen und einer selbst gemachten Torte, die einen Vulkanausbruch darstellte. Yuxin hatte im Januar Geburtstag, auch sie wurde 16, bekam eine echte norwegische Bäckertorte (für sagenhafte 30 Euro) und lud einen Haufen Freundinnen ein, mit denen sie selber Pizza belegte und verspeiste. Wer Bilder von der Torte sehen will: http://esteryaoyao911.spaces.live.com/

Frieder war neulich zum Geburtstag eines Klassenkameraden eingeladen, dessen Eltern die gesamte Jungsgruppe mit zur nächstgelegenen Go-cart-Bahn chauffierten: ins gut zwei Stunden entfernte Evje. Frieder möchte nun auch zu seinem Geburtstag im Juni dorthin fahren und Flora hat bereits Pläne für einen Wasserschlachtgeburtstag mit ihrer ganzen Klasse in unserem Garten.

Dagegen verhalten sich die Eltern ganz friedlich mit ihren Festen. Andreas hat seinen Geburtstag mehr oder weniger ausfallen lassen, weil Lisanne nicht zu Hause war. Lisanne dagegen hat wild gefeiert, aber immer woanders. Dieses Jahr ist sie unglaubliche 40 geworden und eine Menge Leute bestanden darauf, dass das gefeiert werden muss. Lisanne hatte aber geplant, zwei Tage nach dem Geburtstag nach Deutschland zu fliegen, um an der großen Familienfeier zu 60. und 65. Geburtstagen teilzunehmen. Da entschieden Lisannes Freundinnen kurzerhand, dass sie das Fest am Geburtstagstag ausrichten würden. Ausgeschlafen und völlig entspannt erschien Lisanne also zu ihrer eigenen Party. Alle wurden bestens bewirtet von dem üppigen Buffet, zu dem jeder – außer Lisanne - etwas beigesteuert hatte.  Reich beschenkt und mit Körben voller Essensreste fuhr sie dann nach drei Stunden nach Hause und überließ das Aufräumchaos der Hausbesitzerin. Es war einfach wundervoll und so entspannend, dass sie es nur weiter empfehlen kann: lasst Euch feiern!

Auch in Deutschland hielt die generöse Stimmung an: jeder wollte ein Geschenk machen!  Die Deutschlandreise verwandelte sich auf diese Weise in einen großartigen Wellnessurlaub mit Spa-Tag, neuen Büchern, Hautpflegeprodukten und sogar einer eigenen ersten Digitalkamera. Dem Koffer tat das nicht gut: er wurde so schwer, dass Lisanne am Flughafen die Hälfte der Bücher herausnehmen und in ihr Handgepäck stecken musste. Und dann hatte der Koffer immer noch 22 Kilogramm.

Maschinenzerstörer

Aus nicht ganz geklärten Ursachen haben wir im Dezember und Januar ein Fehlerteufelchen beherbergt. Es begann direkt vor Weihnachten. Lisanne hatte sich endlich aufgerafft, Frieder bei seinem Weihnachtsgeschenk für  Yuxin zu helfen: 24 kleine blaue Filzstücke sollten  zu einem Adventskalender verarbeitet werden. Die Nähmaschine schaffte es gerade mal, die Spule für den Unterfaden aufzuwickeln und gab dann unter Rauch und Gestank den Geist auf. Aus dem Weihnachtsgeschenk wurde also nichts.

Anfang Januar hatte dann auch unser alter Herd genug. Er verzichtete zwar auf Blitz und Feuer, ließ aber jedes Mal, wenn wir an den Knöpfen drehen wollten, die Sicherungen im ganzen Haus rauskrachen. Nach nur drei Versuchen hatten wir dann auch schon den Zusammenhang begriffen, ließen den Herd in Ruhe und machten uns auf die Suche nach einem neuen. Leider hatte sich aber der Computer von der Streikmentalität anstecken lassen. Nach der Episode mit dem Herd ließ er sich nicht mehr zum Arbeiten bewegen, und das, obwohl uns sowohl Elektriker als auch Computerfachleute erklärt haben, dass es keinen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen geben kann – alles reiner Zufall!

So kam es, dass wir ganz kurz hintereinander in den Besitz einer neuen Nähmaschine, eines neuen Herds und eines neuen Computers gekommen sind.

Von Nähmaschine und Computer ist nicht viel zu berichten, sie ersetzen das, was vorher auch schon da war, außer dass wir uns natürlich erst mal miteinander vertraut machen mussten. Der neue Computer hat openoffice statt Word,  und die neue Nähmaschine muss ja auch erst einmal eingestellt werden, was gar nicht so einfach ist, wenn die Rädchen plötzlich an ganz anderen Stellen als früher sind. Der Austausch des Computers hat übrigens zum Verlust des Adressbuches mit sämtlichen email-adressen geführt, wer also mails von uns haben will, muss erst mal schreiben, damit wir eine Adresse haben, an die wir antworten können.

Der neue Herd ist ein Induktionsherd. Lisanne hatte schon lange damit geliebäugelt, den alten Herd auszutauschen, schon alleine, weil sein Backofen der Meinung war, dass jeder Kuchen in der linken oberen Ecke ein Stück zu wenig gebackenen Teig haben muss. Nun hatte sie also einen richtigen Grund und ganz zufällig hatten die lokalen Elektrohändler auch gerade Induktionsherde im Angebot, die nur noch halb so teuer waren wie früher.

Abgesehen von ein paar seltsamen Designlösungen ist der Herd einfach fantastisch. Man stellt eine Platte auf die höchste Stufe und der Topf ist innerhalb weniger Sekunden heiß! Es geht so schnell wir beim Gasherd, aber ist viel sauberer. Natürlich mussten wir uns ein wenig umgewöhnen: Es ist nun nicht mehr sinnvoll, die Pfanne schon immer mal aufzuwärmen, während man noch schnell das Gemüse klein schneidet. Man sollte auch nichts mehr aus der Kühlkammer holen, während die Milch auf dem Herd steht. Am aller faszinierendsten ist es aber, dass die Temperatur wirklich sofort zurückgeht, wenn man es schafft, die richtigen Tasten zu bedienen, die zum Ausschalten der gewünschten Platte führen. Fast überkochende Milch zieht sich einfach wieder in den Topf zurück!

Das mit den Tasten ist allerdings etwas trickreich. Für die Kochplatten haben wir ein so genanntes Touchpad, das heißt, man muss auf aufgemalte Bildchen auf dem Ceranfeld drücken, um die Kochplatten zu bedienen. Es gibt eine Taste für alle vier Platten und man muss sich immer der Reihe nach durch klicken, danach darf man dann die Temperatur mit + und – einstellen, wieder indem man so lange draufdrückt, bis der gewünschte Wert erscheint. Zum Glück gibt es noch eine Taste, mit der man alles auf einmal ausschalten kann, sonst wäre die Milch wohl doch öfter übergekocht. Insgesamt sind wir mit dem neuen Herd jedenfalls sehr zufrieden.

Zu allem Überfluss streikte am Ende dann auch noch der Warmwasserbereiter in einer unserer Dachwohnungen. Das bescherte uns Besuch von Elektrikern und Rohrlegern. Die Elektriker kamen gleich mehrfach. Im Oktober hatte wir uns eine Luft-zu-Luft Wärmepumpe angeschafft, um die Heizkosten zu reduzieren. Um diese anzuschalten, musste ein Elektriker eine neue Leitung vom Sicherungskasten in unserer Wohnung bis in die Werkstatt hinter der Garage verlegen, weil dass Außengerät der Wärmepumpe nur an einem Extra-Stromkreis betrieben werden darf. Gleichzeitig legten die Elektriker auch noch einen weiteren Stromkreis für die Waschmaschinen an, damit diese nicht mehr mit Trockner, Kühltruhe, Garage, Werkstatt und Waschküche an nur einer einzigen überlasteten Sicherung angeschlossen waren. Seit dieser Aktion fiel bei uns der Strom nicht mehr aus, wenn ein Gewitter im Anmarsch war, sondern einfach so, am helllichten Tag und bei idealen Witterungsbedingungen, auch  wenn wir keinerlei Geräte außer den Dauerbrennern (Kühlschrank usw.) laufen hatten. Beim vierten Besuch der Elektriker, im Februar, fanden sie dann einen Fehler in der Leitung, die zum Haus führt. Sie versprachen, das Elektrizitätswerk zu benachrichtigen und seit dem haben wir nur einmal Stromausfall gehabt: bei Gewitter.  

Widerspenstige Hasen

Unsere Kaninchen sind weiterhin treue und beliebte Familienmitglieder. Es gibt einen Plan, wie sich Flora und Frieder das Füttern und Reinigen teilen, und sie haben außer ihrem Käfig auch ein Freigehege. In den letzten beiden Wintern gab es noch eine spezielle Einrichtung: Wir gruben lange Gräben in den Schnee, in denen sie umherhoppeln konnten. Als der Schnee dann etwas taute, waren die Gräben nicht mehr so sehr tief und die Kaninchen wagten sich auf eigene Faust auf die Schneeberge und -inseln. Eines Abends waren sie dann in den Gräben nicht mehr aufzufinden. Den Spuren nach zu urteilen, hatten sie nicht weit vom Haus entfernt, aber weit und breit war kein Hase zu sehen.

Zu allem Überfluss war Lisanne, die ja immer Rat weiß, gerade in Deutschland und Flora beim Malen. Also suchten Andreas und Frieder gemeinsam, bis sie schließlich immerhin einen der beiden Übeltäter – Lisa – unter der Terrasse fanden. Sie wollte allerdings nicht freiwillig herauskommen, also musste erstmal ein Brett gelöst und kräftig zugepackt werden, so dass Lisa dann mit sanfter Gewalt in ihren Käfig transportiert werden konnte. Aber wo war Sam? Es war schon dunkel als Flora nach Hause kam und sich an der Suche beteiligen konnte. Alle anderen hatten die Hoffnung schon aufgegeben. Aber tatsächlich, mit Hilfe einer Taschenlampe und massenhaft guten Mutes fand Flora auch Sam. Er war fast an derselben Stelle wie Lisa. Auch er wollte nicht wieder heraus, aber mit ein wenig Futter und viel gutem Zureden und dann einem kräftigen Zupacken wurde auch er überzeugt. Seitdem dürfen die Kaninchen nicht mehr so viel frei herumlaufen. Dafür haben wir den alten Außenkäfig, der durch die großen Schneemassen der letzten beiden Winter stark gelitten hatte, durch einen neuen Außenkäfig mit viel Platz für beide Hasen ersetzt.

Und zum Schluss noch ein kleiner Tipp für Hasenbesitzer: wenn das Kaninchen es nicht mehr schafft, seinen Hintern selber zu säubern, dann ist es zu fett. Eine Woche Wasser und Heu wirkt Wunder!                                                                                           -ENDE-



[1]              Beide Filme sind auch auf unserer Webpage zu finden.